„Es ist der Mittelpunkt des Dorfes. Wenn man hier vorbeifährt, ist immer was los.“

Uwe Kläner
Sieben Frauen in passenden schwarzen Fußballtrikots posieren gemeinsam auf einer Wiese, vier davon stehend und drei kniend vor ihnen. Im Hintergrund sind Bäume und Werbeschilder zu sehen.

Faustballverein TV Brettorf

Heimat auf dem Platz

Alles erinnert an eine große Familie. Wenn die Bundesliga-Teams des TV Brettorf auf dem Vereinsgelände am Bareler Weg zusammenkommen, dann gibt es keine Eitelkeiten und Allüren. Man kennt sich und versteht sich hier – seit über hundert Jahren. 

Gegründet wurde der TV „Gut Heil“ Brettorf im Jahr 1913, der erste Faustball wurde bereits kurz darauf geschlagen. Inzwischen gibt es wahre „Faustball-Familien“, in denen der Sport über Generationen weitergegeben wurde. Kein Wunder: Für den kleinen Ort südöstlich von Oldenburg war dieser Mannschaftssport ideal, denn er ist leicht zu erlernen und kommt mit lediglich fünf Aktiven aus. „Wenn es in einem Jahrgang nur fünfzehn Kinder gibt, ist an eine Fußballmannschaft nicht zu denken“, weiß Kläner. Der Faustball hingegen bot nicht nur gute Voraussetzungen, er eröffnete auch Möglichkeiten: „Wenn man eine Handvoll Talente hat, kann man schon einiges bewirken und erreichen.“

Die fünf Positionen bieten dabei eine überraschend große Vielfalt: Im Angriff braucht es Größe und Kraft, in der Abwehr Tempo und Wendigkeit und im Zuspiel ist Technik gefragt. Der Faustball komprimiert also viele sportliche Reize und Qualitäten auf ein überschaubares Format. Uwe Kläner nennt einen weiteren Vorteil: „Es findet kein direkter Körperkontakt statt, man geht in der Regel ohne blaue Flecken vom Platz.“ Diese gewisse Distanz ermögliche auch etwas, das in anderen Sportarten seltener ist: „Egal, wie das Spiel ausgegangen ist: Nach dem Abpfiff hat man mit dem Gegner sofort ein gutes Verhältnis.“ Auf dem Platz und der Tribüne herrsche eine freundschaftliche Atmosphäre, die von vielen sehr geschätzt werde.

Faustball als Markenzeichen

Obwohl sich der Faustball auch in einigen Städten wie Leipzig oder Berlin durchsetzte, blieb er in erster Linie ein Sport für kleinere Gemeinden – insbesondere aus dem Oldenburger Land. Hier ist der Faustball zu einem Markenzeichen und Aushängeschild geworden. Immer wieder stellten die Vereine aus Brettorf, Moslesfehn oder Ahlhorn Meister und Pokalsieger. Zwar wird der athletische Sport auch in Bayern und sogar Brasilien gespielt, im Landkreis Oldenburg jedoch ist die Dichte an Top-Teams am größten. „In den Dörfern geht es familiärer zu, es ist etwas leichter, die Teams bei der Stange zu halten“, ordnet Kläner ein. Es gebe weniger Alternativen als in Großstädten, die Vereine spielten im Alltag eine größere Rolle. „In Brettorf geht man als Kind ab sechs Jahren eben zum Faustball. Das ist einfach so“, schmunzelt der 67-Jährige.

Entscheidend für den Erfolg seien aber die gut ausgebildeten Trainerinnen und Trainer, die ihre Teams bis zu drei Mal pro Woche ehrenamtlich betreuten und durch ihre Arbeit für die hohe Leistungsdichte sorgten – und deren Arbeit so sehr geschätzt wird, dass einige Spieler bis zu hundert Kilometer Anfahrt in Kauf nehmen.

Eine Fußballspielerin mit blonden Haaren in einem Pferdeschwanz lächelt, während sie während eines Spiels in einem schwarzen Trikot mit Sponsorenlogos läuft. Ein anderer Spieler in ähnlicher Kleidung ist im Hintergrund unscharf zu erkennen.

Brettorf, Gott und die Welt

Kein Zweifel: Der Faustball ist ein gesellschaftliches Herzstück des Dorfes. Man spricht im Ort über die Spiele der ersten Damen- und Herrenmannschaften, man geht aber auch hin. „Zu Spitzenspielen kommen durchaus 300 Zuschauerinnen und Zuschauer, reguläre Spiele finden vor etwa 150 Leuten statt“, schätzt Kläner, der auch nach 55 Faustball-Jahren weiterhin selbst aktiv ist. Für einen Ort mit nicht einmal tausend Einwohnerinnen und Einwohnern ist selbst letzteres ein sehr starker Wert. Zum Vergleich: Könnten die Regionalliga-Fußballer vom VfB aus der benachbarten Großstadt Oldenburg eine ähnliche Quote erreichen, würden sie vor 25.000 Fans spielen.

Dass beim Faustball alles etwas kleiner ist als beim Fußball – nicht nur die Zahl der Positionen auf dem Feld, sondern auch die Masse an Menschen an dessen Rand – darf man getrost als einen Vorteil werten. Zwar wird in Brettorf und vergleichbaren Orten nicht das große Geld gemacht. Dafür zählen aber andere Dinge, die letztlich einen viel größeren Wert haben: Nähe. Verbundenheit. Vertrautheit. Zwar sei das Miteinander nach den Spielen nicht mehr ganz so ausgeprägt wie früher einmal. „Die jungen Leute haben alle schnell ihre Handys in der Hand“, hat Kläner beobachtet. Dennoch gehöre das Zusammensitzen und Klönen nach wie vor dazu – vor allem im Hobbybereich. „Da ist das Schnacken über Gott und die Welt genauso wichtig wie das Training“, schmunzelt der frühere Deutsche Vizemeister der Senioren.

„Da ist das Schnacken über Gott und die Welt genauso wichtig wie das Training.“

Uwe Kläner

Dass man nach dem Spiel durchaus auch mit den Gegnern zusammensitzt, verhindert allerdings nicht die Lokalrivalität. Im Fußball gibt es das berühmte Derby Dortmund gegen Schalke, im Handball Flensburg gegen Kiel – und im Faustball Brettorf gegen Ahlhorn. „Es gibt da auf jeden Fall eine sportliche Rivalität. Wenn wir gegen Ahlhorn oder Moslesfehn spielen, wollen wir noch mehr gewinnen als sonst“, lacht Kläner. Das sei aber eher ein zusätzlicher Reiz, das Verhältnis sei ansonsten sehr freundschaftlich.

Letztlich spielt es keine Rolle, aus welchem Blickwinkel man den Faustball in Brettorf betrachtet: Er wirkt stets sympathisch. Zwar wird bei den Bundesliga-Spielen am Bareler Weg echter Spitzensport geboten, es geht um Titel und Trophäen. All die störenden Begleiterscheinungen – wie eine aufgeheizte Stimmung oder die ausufernde Vermarktung – fehlen jedoch und werden nicht vermisst. Der attraktive Sport besitzt eben große Bodenhaftung. Kraft, Koordination und Technik, aber auch Fairness und Freundlichkeit zeichnen ihn aus. Und nach dem Match? Sitzen alle zusammen und sprechen über das, was sie bewegt – wie in einer großen Familie.

Eine Sportlerin in einem schwarzen Trikot springt, um während eines Sportspiels im Freien einen Ball mit ihren Unterarmen zu treffen. Im Hintergrund sind ein Werbebanner eines Unternehmens und grüne Bäume zu sehen.
Hallenfußballspieler in weißen Trikots jubeln mit ausgestreckten Armen auf dem Spielfeld, während eine große Menge von Fans im Hintergrund von der Tribüne aus begeistert anfeuert.
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