Platt ist nicht Platt

18. November 2019
© Ulf Duda, fotoduda.de

Kiek an!

Ludger Abeln gehört zu den bekanntesten Platt-Snackern der Region. Hör mal’n beten to. Mehr als diese vier Worte braucht man nicht, um Ludger Abeln zu beschreiben. Nicht, weil er als Autor der gleichnamigen NDR-Radiosendung buchstäblich Gesprächsstoff lieferte, sondern weil es seine persönliche Antriebsfeder ist. Zuhören und seinem Gegenüber dabei stets auf Augenhöhe begegnen. Gern auch „up Platt“. Seiner Lieblingssprache: „Plattdeutsch bedeutet für mich Nähe.“

Wichtig ist dem gebürtigen Emsländer daher vor allem eines – Vorurteile zu beseitigen: „Plattdeutsch ist eine selbstständige Sprache mit einer eigenen Grammatik und kein Dialekt.“ Rund zehn Millionen Menschen sind des Niederdeutschen mächtig. Dennoch gibt es regionale Unterschiede: „Im Oldenburger Land würde man beispielsweise Platt snacken, in Ostfriesland Platt proten und im Raum Osnabrück Platt küren.“ Manchmal seien ganze Begriffe anders, bisweilen nur die Betonung. Und das könne sich schon von Landkreis zu Landkreis stark unterscheiden, weiß der Moderator aus Erfahrung.

In seinem aktuellen Buch „Weihnachten im Watt: 24 Geschichten zum Fest – Literarischer Adventskalender in Hochdeutsch & und Plattdeutsch“ hat sich der Journalist deshalb an die vorgeschlagene Schreibweise der Ostfriesischen Landschaft gehalten. Verstanden wird es aber trotzdem von allen anderen Platt-Snackern: „Wir haben untereinander keine Sprachbarrieren. Zur Not hilft ein, Segg dat noch eenmaal!‘ Das funktioniert immer.“ Wer jetzt glaubt, dass sich die Bezeichnung Platt vom flachen Norddeutschland ableitet, der irrt. Beschrieben wird damit die Sprache und nicht die Geografie. Den Beweis liefert eine Ausgabe des Neuen Testaments aus dem frühen 16. Jahrhundert. Darin heißt es, das Werk sei „in goede platten duytsche“ verfasst worden. Platt stand damals nämlich für ein klares und allgemein verständliches Deutsch. Doch die Zeiten haben sich geändert. Über ein Fünftel aller plattdeutschen Wörter haben heute keine direkte Entsprechung im Hochdeutschen, dafür jedoch im Englischen und in den skandinavischen Sprachen.

Für den Wahl-Ostfriesen ein Grund mehr, Berührungsängste abzubauen. Etliche Bücher tragen deswegen ganz klar seine Handschrift. Eines dieser Bücher hat sein Lebensmotto zum Titel: „Jümmers munter blieben“. Allerdings stehen der 55-Jährige und seine Liebe zur niederdeutschen Sprache für viel mehr als nur für Anekdötchen: „Es gibt bei mir nicht nur Döntjes, gelegentlich darf es durchaus politisch sein.“ Demzufolge hält Ludger Abeln seit vielen Jahren traditionell im Dezember bei der „Wirtschaftlichen Vereinigung Oldenburg – DER KLEINE KREIS“ die sogenannte Gegenrede up Platt. Intelligente verbale Breitseiten inklusive: „Daar kannst di up verlaten.“

____

„He, wat mooi!“

Plattdeutsch ist die Sprache unserer Region. Sie verbindet Stadt, Land un Lüü.

Eine Frau und ein Mann. Zwei Originale. Sie führt „up Platt“ durch ihre Heimatstadt. Er ist der Chronist seiner Küste und „prot dabi Platt“. Helga Diers aus Oldenburg und Wieland Rosenboom aus Horumersiel zeigen uns, dass Platt mehr als nur eine Sprache ist, sondern für gelebte Heimatliebe zwischen lang gezogenen Vokalen und knackig betonten Konsonanten steht.

Helga ut Ollnborg

„Kind, wo häst du bloß de ganzen Wöör her?“ Diese Frage hörte Helga Diers mehr als einmal von ihrer Mutter. „Von jo“, habe sie dann immer geantwortet, sagt die Oldenburgerin lachend. Dabei hätten ihre Eltern ganz viel Wert daraufgelegt, mit ihren Kindern ausschließlich hochdeutsch zu sprechen: „Untereinander und mit der Familie snackten sie jedoch weiter Platt und dadurch sind mein Bruder und ich, ob wir es wollten oder nicht, mit der Sprache aufgewachsen.“ Inzwischen ist die LzO-Mitarbeiterin längst bekannt als „de plattdütsche Helga von de Spoarkasse“. Ein Original von der Hunte, das nicht nur jeden vierten Samstag im Monat mit viel Humor und Herz plattdeutsche Führungen durch seine Heimatstadt anbietet, sondern mittlerweile sogar seine Lieblingssprache an der Volkshochschule lehrt. Döntjes inklusive.

Einen erzählt sie besonders gern: „In den 1970ern hatte die Landessparkasse den ersten Geldautomaten aufgestellt. Mein Opa Emil wollte unbedingt das Wunderwerk der Technik mit eigenen Augen sehen. ,Dag un Nacht Geld affhoalen‘, das gefiel ihm. Aber über eines beklagte er sich anschließend bei mir: ‚Dat is so schoar, dat man dat Frominsch dör achter nich mehr sehen kann.‘ Dass wir nicht dahinter saßen und die Geldscheine ins Ausgabefach legten, wollte er einfach nicht glauben.“

Wieland ut Wangerland

Jeder Ort hat seine Geschichte. Seinen ganz persönlichen Fingerabdruck in der Region. Erinnerungen und Überlieferungen, die verloren gehen würden, wenn sich nicht jemand darum kümmert. Jemand wie Wieland Rosenboom. Ein Unikat mit dunkelblauer Kapitänsmütze. Der gebürtige Horumersieler ist das Gedächtnis des Wangerlands. Die Anekdoten und Erinnerungen fliegen ihm zu. Überall. Bei seiner Arbeit auf dem Bauhof der Gemeinde Wangerland oder in seiner Funktion als Seenotretter bei der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. Der 54-Jährige leiht ihnen seine Stimme. Und zwar am liebsten „up Platt“. Das gibt seinen Erzählungen etwas Warmes, Wohliges. Manche hören sich an wie Märchen. Schön oder „Mooi“, wie Wieland Rosenboom sagen wird. Wahr sind sie aber trotzdem. So wie diese über „De Kark van St. Joost fröher Honsdeep“, die seine Mutter von ihrem Großvater Johann Gerdes Oltmanns gehört hat.

„Dat weer so üm 1495 as een rieken Bremer Koopmann mit sein eegen Handelsship vör de östliche jeverländische Küst stranden dee. De Junkers von Hodens und Maisidden hebbt de Lüü ut dat Water rett’t. Man weer to de Tieden düchtig fromm un as Dank leet de rieke Koopmann de Junkers een Kapell’ boon“, erzählt Wieland Rosenboom. Nicht nur deshalb ist das kleine Gotteshaus etwas ganz Besonderes für ihn: „All anner Karken in’t Jeverland stunnen all Jahrhunderte ut Granitquader boot up hoog Warften. Disse is ganz ut dick Backsteen müürt. Een besünner Kark up een leegen Warft.“ Eine steinerne Zeitzeugin, die Geborgenheit ausstrahlt. Wers nicht glauben will, dem rät der Wangerländer: „Kiek mal wedder in.“

Zutaten


Zubereitung