Als junge Frau in die Wissenschaft

„Was es braucht: Motivation, Mut und Durchhaltevermögen.“

5. Januar 2024

©von Mende Marketing

Weiblich, jung und mit einem interdisziplinär ausgerichteten Forschungsthema hatte Paula Maria Bögel gleich „mehrfachen Seltenheitswert“ in der Wissenschaft. Dennoch hat sie sich durchgesetzt und eine bemerkenswerte akademische Karriere gemacht. Heute ist sie Juniorprofessorin und baut an der Universität Vechta den Lehrstuhl für „Transformationsmanagement in ländlichen Räumen” auf. Im Interview erzählt die 36-Jährige, was sie als Voraussetzung für den Erfolg sieht, welche Veränderungen sie sich im deutschen Wissenschaftsbetrieb wünscht und wie sie selbst dazu beiträgt.

 

 


Frau Professorin Bögel, war für Sie eine Karriere in der Wissenschaft immer schon gesetzt?

Nein, ich hatte nie vor, Professorin zu werden. Das gilt auch für die Promotion: Obwohl meine Eltern beide promoviert haben, stand diese Option nicht auf meiner Agenda. Auch wenn es heute so wirken könnte, als sei ich immer einem konkreten Ziel gefolgt. Aber: Lebensläufe sind ja nur eine Form von Storytelling. Vielmehr habe ich immer gemacht, was mich begeistert hat. Mein Interesse galt der Frage, was Menschen bewegt und zusammenbringt. Deshalb habe ich Psychologie studiert.

 

„Lebensläufe sind nur eine Form von Storytelling.“

 

Wann haben Sie dann den ersten Karriereschritt gemacht?

Der Gedanke an eine Promotion kam erstmals 2010 bei meiner Arbeit bei der Alfred Toepfer Stiftung in Hamburg auf. Ihre Zielsetzungen, einen gesellschaftlichen Bereich wie Kultur zu fördern und Nachhaltigkeit voranzutreiben, verschmolzen zum Forschungsgegenstand „Nachhaltigkeitskommunikation“. Darauf habe ich mich als Doktorandin an der Universität Lüneburg konzentriert. Damals noch ein absolutes Nischenthema – mir wurde oft gesagt, auch von wohlmeinenden Menschen, damit könne ich nicht in der Wissenschaft bleiben. Deswegen habe ich lange überlegt aufzuhören. Für mich war nämlich klar: Eine wissenschaftliche Karriere, für die ein Themawechsel notwendig gewesen wäre, wollte ich nicht.

Was hat Ihnen geholfen, Ihren Weg weiterzugehen?

Ein Coaching mit Spezialisierung auf den Wissenschaftsbetrieb, viel Selbststärkung und Unterstützung aus meinem engsten Umfeld. Vor ein paar Jahren wurde mein Thema dann zunehmend nachgefragt in Gesellschaft, Politik und auch Wissenschaft. Seitdem bekomme ich mehr Projektanfragen, als ich bearbeiten kann. Zumal ich wiederum innerhalb des Themenbereichs Nachhaltigkeit eine Nische abdecke.

 

„Während mir damals wegen meines Nischenthemas
noch mit Skepsis begegnet wurde, bekomme ich heute
mehr Projektanfragen, als ich bearbeiten kann.“

Können Sie das genauer erklären?

Ich betrachte Transformationsprozesse zu Nachhaltigkeit aus psychologischer Perspektive. Das mag logisch klingen: Nachhaltigkeit kann nicht ohne Menschen funktionieren – Prozesse müssen also so gestaltet sein, dass sie eingebunden sind. Laut der Forschung in Deutschland werden hier jedoch zwei unterschiedliche Disziplinen zusammengeführt. Als ich 2018 als Senior Researcher ans Royal Institute of Technology (KTH) in Stockholm gegangen bin, musste ich dagegen niemandem mehr erklären, warum die psychologische Sichtweise eine Berechtigung hat. Hier galt schon länger „People First“.

Wie zeigt sich diese andere Denke noch?

In der Selbstverständlichkeit, mit der skandinavische Länder Gleichberechtigung leben. Als ich in die Energieprojekte gestartet bin, hatte ich Bedenken, weil ich in mehrfacher Hinsicht besonders war: Ich hatte keine Ahnung von Ingenieurwissenschaften, war ungefähr halb so alt wie alle anderen am Tisch und eine von wenigen Frauen, die an der Umsetzung in großen Konsortien beteiligt waren. Ich fand es sehr faszinierend zu sehen, dass meine Kompetenz dennoch nie hinterfragt wurde.

 

„Wenn die Bedürfnisse aller erfüllt werden, dann stellt sich die Frage nicht mehr, ob ich mich als Frau wohlfühle.“

©von Mende Marketing

Wie wird diese Selbstverständlichkeit erreicht?

Sie resultiert aus den Bemühungen, eine Umgebung zu schaffen, in der sich alle gleichermaßen wohlfühlen. Wenn klar ist, dass die Bedürfnisse aller im Raum erfüllt werden, dann stellt sich die Frage nicht mehr, ob ich mich als Frau wohlfühle. Es ist zum Beispiel völlig klar, dass es nach vier Uhr keine Meetings mehr gibt, weil manche Teilnehmende ihre Kinder abholen müssen. Oder dass zu gemeinsamen Essen keine Nüsse mitgebracht werden, falls jemand eine Nussallergie hat. Möglichst alle Bedürfnisse werden von Beginn an mitgedacht.

Und Ihre Erfahrungen als weiblicher Wissenschaftler in Deutschland?

Dass ich eine Frau bin und damit anders wahrgenommen werde, merke ich hier durchaus noch. So war bezeichnenderweise der einzige, der meine Kompetenz während meiner Zeit am KTH  angezweifelt hat, jemand aus einer deutschen Beratung. Auch bei Kleinigkeiten fällt die Ungleichbehandlung auf, etwa dass bei Frauen häufiger der Name vergessen wird. Meist passieren diese Dinge aber nicht absichtlich.

 

„Wir schätzen Menschen, die uns ähnlich sind, automatisch als kompetenter ein.“

 

©von Mende Marketing

Sie sind oft auf eine Wahrnehmungsverzerrung zurückzuführen, wie ich in meinem Psychologie-Studium gelernt habe. Es ist eben eine Tatsache, dass man Menschen, die einem ähnlich sind, automatisch als kompetenter einschätzt.

Wie sind Sie diesen hinderlichen Voraussetzungen begegnet?

Unterstützt von meinem damaligen Mentor war meine Strategie während des Postdocs*: mehr Paper veröffentlichen, mehr Drittmittel einwerben – also schlicht erfolgreicher sein als „klassische Wissenschaftler“. So lange, bis sich mein Name etabliert hat.

Aber ich muss dazu sagen: Ich hatte immer das Glück, passende Arbeitsumgebungen zu finden. Genau deswegen habe ich sehr gerne am am KIT  des Karlsruher Transformationszentrums für Nachhaltigkeit und Kulturwandel (KAT) gearbeitet. Meine damalige Arbeitsgruppe hat sich sehr an Reinventing-Organizations- und New-Work-Ansätzen orientiert, die kompetenzorientierte Führung in den Mittelpunkt stellen, sodass sich alle einbringen können. Ich bin mir sicher, dass ihre Ergebnisse und ihr Erfolg darauf zurückzuführen sind.

Heißt das folglich, dass die Strukturen des Wissenschaftsbetriebs insgesamt weniger hierarchisch geprägt sein sollten?

Genau, das ist ein Aspekt. Dass ich beispielsweise mein Promotionsthema frei wählen konnte, ist nicht selbstverständlich; oder dass mir meine Doktormutter Freiräume bei der Wahl von Projekten und Partnern gelassen hat. Wenn ich nochmal auf meine Zeit in Stockholm zurückblicke: Hier ist der Umgang untereinander deutlich mehr auf Augenhöhe. Auch in den Niederlanden, wo ich eine Gastprofessur an der Universität Groningen innehabe, ist gar nicht relevant, von wem ein Kommentar geäußert wurde – ob von der Institutsleitung oder von einer Doktorandin bzw. einem Doktoranden. Der Austausch steht im Vordergrund.

„Es braucht weniger Hierarchien und mehr Transparenz.“

Ein anderer Aspekt ist mehr Transparenz, wie im Wissenschaftsbetrieb gearbeitet wird. Nur so kann er zugänglicher werden, auch für unterrepräsentierte Gruppen oder Menschen, die einen tollen Beitrag leisten könnten, sich selbst aber nicht im akademischen Umfeld sehen. Sie würden die Wissenschaft bereichern und ein anderes, inklusiveres Bild nach außen repräsentieren.

Aus Ihren Schilderungen lässt sich herauslesen, dass Sie viel in Ihre Karriere investiert haben.

Das stimmt – man stolpert nicht einfach auf eine Professur. Deshalb brauchte ich einen guten Plan. Und auch die Motivation und den Mut, an ihm festzuhalten. Mein Vorteil war dabei, dass meine Neugierde immer die Selbstzweifel überwiegt. Ich sage häufig Anfragen zu und realisiere mir erst kurz vor Beginn eines Projekts, auf was ich mich da eigentlich eingelassen habe. Danach ist schön festzustellen: Es hat geklappt! Dazu kommt Durchhaltevermögen – man wird während der Laufbahn ständig geprüft. Es gibt Zwischenevaluationen, etliche Bewerbungsverfahren und Gutachten. Dieses andauernde „Vortanzen“ muss man durchhalten können.

Wie unterstützen Sie heute junge Forschende auf ihrem Weg?

Ich biete zum Beispiel ein Kolloquium für Doktorandinnen und Doktoranden an, in dem wir nicht nur über wissenschaftliche Inhalte sprechen, sondern auch über persönliche und emotionale Anliegen wie Selbstzweifel. Niemand soll das Gefühl haben, damit allein zu sein. Wir sollten nicht dem Narrativ aufsitzen: „Ich muss da allein durch und dabei furchtlos und von mir selbst überzeugt sein, um es zu schaffen.“ Vielmehr braucht es mehr Sensitivität und eine bessere Feedback-Kultur.

©von Mende Marketing

„Meine Rolle besteht nicht mehr darin, alles zu wissen,
sondern meine Studierenden zu befähigen.“

 

Deswegen hat in meinen Augen die klassische Vorlesung, in der ich einen 1,5-stündigen Monolog halte, ausgedient. Mit ziemlicher Sicherheit hat nämlich bereits jemand ein besseres YouTube-Video zum Thema gemacht. Meine Fragen, mein Feedback und meine Hilfestellungen zu den Projekten von Studierenden sind viel zielführender. Meine Rolle besteht nicht mehr darin, alles zu wissen, sondern meine Studierenden zu befähigen.

Haben Sie hierfür ein konkretes Beispiel?

In einem meiner Seminare haben Studierende anhand eines Schemas die Online-Nachhaltigkeitskommunikation von DAX-30-Unternehmen analysiert und Empfehlungen erarbeitet. Zu einem Termin bei einer Nachhaltigkeitsberatung in München waren mehrere Vertreterinnen und Vertreter dieser DAX-30-Konzerne eingeladen. Die Studierenden konnten ihre wissenschaftlich fundierten Ergebnisse präsentieren und haben gemerkt, dass sie absolut ernst genommen wurden. Diese Selbstwirksamkeit zu spüren löst eine unglaubliche Motivation aus.

Was sind Ihre nächsten Schritte?

Mittlerweile bin ich im Wissenschaftsbetrieb angekommen und habe akademische Sichtbarkeit für mich und mein Forschungsgebiet erreicht. Jetzt geht es mir darum, meine Ergebnisse mittels Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und Politikberatung noch mehr nach außen zu tragen. Und das, was mir wichtig ist, mit meinem Team weiter voranzutreiben. Erreicht habe ich auch, dass ich meine Arbeitsgruppen nach genau den Standards aufsetzen kann, die ich mir als Rahmenbedingungen wünsche. So kann ich das System von innen verändern.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

*Unter einem „Postdoc“ – im Deutschen auch als „Postdoktorand“ bezeichnet – wird eine Wissenschaftlerin bzw. ein Wissenschaftler verstanden, die bzw. der nach der erfolgreichen Promotion an einer Universität oder einem Forschungsinstitut für Forschung und Lehre angestellt ist. In der Postdoc-Phase qualifizieren sich Postdocs oftmals auch für die Berufung auf eine Professur weiter.

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