Gewinnt der Naturschutz also weiter an Bedeutung?
Kunert: Absolut. Ein befreundeter Künstler hat es einmal auf den Punkt gebracht: Das Thema unserer Generation ist die Umwelt. Damit setzt sich fast jede Person und auch so gut wie jedes Unternehmen auseinander.
Junge: Mitarbeiter:innen wissen es mittlerweile zu schätzen, wenn sich der Arbeitgeber für Umweltbelange einsetzt. Das spiegelt auch eine große Studie von Human Proof aus Heidelberg wider: Ein Drittel der jungen Talente sieht das Thema bei der Jobauswahl heutzutage als essentielles Kriterium an.
„Wir wollen aber, dass alle verstehen,
was es eigentlich heißt, Lebensräume zu schaffen.
Das funktioniert am Bildschirm nicht.“
Tom Junge, Gründer von „ImmerBunt“
Trotzdem verbringen vor allem die „Digital Natives“ immer mehr Zeit online …
Junge: Richtig ist, dass junge Menschen mit der Digitalisierung groß geworden sind und deshalb Zugriff auf sehr viele Quellen und sehr viel Wissen haben. Schon mein kleiner Bruder beschäftigt sich mit den großen Themen und schaut Dokumentarfilme dazu – das war vor fünfzig Jahren noch gar nicht möglich.
Kunert: Der Kontakt zur Natur muss aber definitiv da sein – und das ist er unserer Meinung nach leider zu wenig. Viele Menschen halten sich kaum in der Natur auf. Als ich klein war, hatte ich Glück, wenn ich mal eine Stunde an den Gameboy durfte. Den Rest der Zeit ging’s nach draußen, raus in den Wald oder in den Matsch. Das Verhältnis ist heutzutage oft umgekehrt. Wenn man eine Sprache lernt, klappt das auch am besten, indem man sie hört und spricht. Mit der Natur brauchen wir ebenfalls direkten Kontakt, um sie wirklich verstehen zu können.
Junge: Deshalb gehen wir unsere Projekte immer mit dem Ansatz der Interaktion und Partizipation an. Bei unseren „Blühwiesen-Tagen“ erleben wir immer wieder Kinder, die haben in ihrem Leben noch nie einen Regenwurm gesehen! Wir wollen aber, dass alle verstehen, was es eigentlich heißt, Lebensräume zu schaffen. Das funktioniert am Bildschirm nicht.
Sie sehen bei den Menschen also tatsächlich eine Veränderung, wenn sie ganz bewusst in Kontakt mit Natur treten?
Kunert: Dazu erzähle ich eine kleine Geschichte. Wir haben einmal mit einer Schulklasse einen Workshop gemacht. Wir sind über die Wiese gelaufen, haben Blumen gepflanzt, aber auch Lupengläser eingesetzt. Mit dem Ansatz: Mal sehen, ob wir irgendein Insekt einfangen, das wir uns dann angucken können. Ehrlich gesagt war unsere Vermutung, dass wir kein einziges erwischen. Am Ende des Tages hatte es aber jedes einzelne Kind geschafft – und alle waren total begeistert: „Oh, eine Hummel!“ – „Wie riesig! Wie schön!“ Was dieses Beispiel wunderbar zeigt: Sobald man das Thema fühlt, sobald die erste kleine Hürde übersprungen ist, ist jeder voll dabei.
„Wer mit Natur in Kontakt kommt,
will sie auch erhalten.“
Tom Junge, Gründer von „ImmerBunt“
Junge: Ich hab auch eine passende Geschichte: Eine Familie lebte direkt neben einer Blühwiese, die wir angelegt haben. Die Kinder haben dann auf der Wiese gespielt und verstanden, was dahintersteht und warum sie angelegt wurde. In ihrem Kindergarten haben sie dann ihren kleinen Freundinnen und Freunden davon erzählt. Schließlich haben alle ihr Taschengeld zusammengekramt, um eine Patenschaft für diese Wiese zu übernehmen und sie zu erhalten. Als der Anruf der Eltern kam mit dieser Botschaft – das war ein echter Gänsehautmoment für uns. Und er zeigt: Wer mit Natur in Kontakt kommt, will sie auch erhalten.
Wie sorgen Sie dafür, dass es zu solchen Begegnungen kommt?
Kunert: Über das Thema Biodiversität muss man auf jeden Fall noch mehr aufklären. Beim CO2 ist es vergleichsweise simpel: Verbrauche ich weniger, ist das gut – verbrauche ich keines, bin ich klimaneutral. Mit der Biodiversität ist das nicht so einfach, weil der Erhalt von einem natürlichen Ökosystem eine komplexe Aufgabe ist. Jedes Biotop unterscheidet sich von allen anderen. Man kann die Diversität nicht auf eine Variable herunterbrechen, weil jeder Fall individuell ist.
Junge: Deshalb gehört die Kommunikation zu unseren Aufgaben. Einerseits wollen wir Verständnis dafür wecken, dass die „Economy of Scale“ auch hier gilt. Das heißt: Es ist günstiger und effektiver, wenn wir gemeinsam große Flächen bewirtschaften, als wenn sich jeder nur um ein paar Quadratmeter kümmert. Andererseits sind die kleinen Maßnahmen zuhause auch wichtig und wertvoll, wenn zum Beispiel jemand den Laubhaufen über Winter für Igel liegen lässt. Darüber klären wir auf – in Workshops, Schulungen, Blogbeiträgen und Erklärvideos in den sozialen Medien.