Im Oldenburger Zweistromland lässt man Stadt und Sorgen hinter sich

Mein Lieblingsort: Der Achterdiek in Oldenburg

13. Februar 2023

©Matthias Zink

Wasser gehört fest zum Norden, auch wenn es in den Städten gezwungenermaßen eine untergeordnete Rolle spielt. Hier sind Flüsse häufig begradigt oder kanalisiert. Trotzdem gibt es auch in der Großstadt Oldenburg Orte am Wasser mit eigener Magie. Für mich ist es der Achterdiek – ein schmaler Landstrich zwischen zwei Gewässern.


Eigentlich hatte ich noch gar nicht so viel Zeit, einen Lieblingsort in Oldenburg zu entdecken. Ich bin erst im Herbst 2020 aus Lüneburg hierhergekommen, mitten in der Pandemie. Der Start hätte also einfacher sein können. Dass ich nach Oldenburg gekommen bin, hatte drei gute Gründe. Erstens: Es ist nicht so weit weg von meiner Heimatstadt. Zweitens: Ich kann hier Medizin studieren. Und drittens: Die Bedingungen für den Rudersport sind nahezu ideal. Dass die Stadt genau die richtige Größe hat, kommt noch dazu. Wenn man so will, ist Oldenburg also wie für mich gemacht.

Das gilt genauso für meinen Lieblingsort: der Achterdiek, der sich vom südlichen Stadtrand fast bis zum Schlossgarten erstreckt. Dort hat der Oldenburger Ruderverein seinen Sitz, der als Stützpunkt des Landesruderverbandes schnell eine hohe Bedeutung für mich hatte. Die lieben Menschen dort haben mich toll aufgenommen und viel damit zu tun, dass dieser Ort so positiv auf mich wirkt.

Und da ist noch einiges mehr: die alten Bäume, die gesamte Atmosphäre. Ich bin über den Sport schon viel rumgekommen, kenne aber keinen anderen Ruder-Standort, der so malerisch zwischen zwei Gewässern liegt. Die Hunte auf der einen, den Küstenkanal auf der anderen Seite – das bietet viel Platz für Breiten- und Leistungssport. Manche sprechen sogar vom „Zweistromland“. Der Vergleich mit Euphrat und Tigris ist natürlich übertrieben, aber letztlich ist ja etwas Wahres dran. Ich habe die Lage von Anfang an als etwas sehr Besonderes empfunden.

Durchatmen für die Sinne

Besonders ist auch die Fahrt zum Achterdiek, natürlich auf dem Rad. Ich liebe es, wenn man in einer Stadt alles mit dem Fahrrad erreichen kann. Das macht mich flexibel und frei. Dass Oldenburg dafür bestens geeignet ist, hat sich vermutlich schon herumgesprochen. Wenn man aus der Innenstadt Richtung Achterdiek fährt, dann fühlt man förmlich, wie die Stadt ins Ländliche übergeht und der Blick sich weitet. Statt Straßen und Häusern sind da plötzlich Wiesen und Weite. Es klingt zwar kitschig, aber: Man lässt in diesem Moment nicht nur die Stadt hinter sich, sondern auch die meisten Sorgen. Das ist ein Durchatmen für die Sinne.

 

„Wenn man aus der Innenstadt Richtung Achterdiek fährt, dann fühlt man förmlich, wie die Stadt ins Ländliche übergeht und der Blick sich weitet.“

 

Das Gefühl setzt sich auf dem Wasser fort. Ja, das unterscheidet sich tatsächlich von Standort zu Standort. Man spürt zum Beispiel, ob das Wasser hart ist oder weich. In Oldenburg ist besonders, dass es fast immer „ruderbar“ ist, selbst wenn ein Wind weht; und das kommt hier ja gelegentlich vor. Und wenn wir dann Geschwindigkeit aufnehmen und über das Wasser „fliegen“ – dann fühlt sich das einfach nur wunderbar an. Körper, Boot und Wasser werden eins – ein perfekter Moment! Immer dann weiß ich auch, wofür ich das alles tue. Denn fliegen kann man nur, wenn man auch trainiert.

©Frederik Severith
©Matthias Zink

Training mit Aussicht

Wir fahren immer stadtauswärts, unter drei Brücken hindurch über Moslesfehn bis nach Klein-Scharrel, das sind ungefähr acht Kilometer. Besonders schön ist das frühmorgens oder spätabends, mit Sonnenauf- oder -untergang im Blick. Wie ich dabei die Umgebung wahrnehme? Anders als die meisten anderen. Beim Rudern schauen wir immer zurück und nicht nach vorn. Oft müssen wir uns sehr konzentrieren und dann bleibt der Blick im Boot. Bei mehreren Stunden Training lassen wir ihn natürlich auch mal schweifen – und sehen das Oldenburger Land aus einer ganz anderen Perspektive. Von der Wasserlinie aus wirkt alles noch größer und noch grüner. Ich weiß nicht, ob man das wahrnimmt, wenn man hier heimisch ist, aber es gibt eine Besonderheit: Die Bäume stehen direkt am Wasser, sie reichen manchmal geradezu hinein. Im Sommer versuchen wir dann oft, ihren Schatten mitzunehmen.

 

„Wie ich die Umgebung wahrnehme? Anders als die meisten anderen.“

©Matthias Zink

Dabei sollte man allerdings immer bedenken: Der Küstenkanal ist eine Wasserstraße. Man muss aufpassen, dass man nicht mit Binnenschiffen kollidiert. Das ist schon vorgekommen, weil man beim Rudern sehr fokussiert ist und den Blick nach vorn gelegentlich vernachlässigt. Dann kann es sehr gefährlich werden. Für ein Stück öffentliche Infrastruktur und für eine Trainingsstrecke im Leistungssport ist der Küstenkanal dennoch außerordentlich schön. Die Hunte mag zum Rudern außerhalb des Leistungssports noch besser geeignet sein, ich aber habe den Kanal sehr zu schätzen gelernt. Er bietet optimale Bedingungen – mit Aussicht!

Anlaufpunkt für alle

Nach der Rückkehr zum Bootshaus genieße ich die Stimmung am Achterdiek. Nach einer knackigen Trainingseinheit auf dem Wasser fühlt man sich körperlich geschafft und gleichzeitig richtig gut! Unter den großen Bäumen kann man das Training analysieren oder mit anderen Vereinsmitgliedern plaudern. Manchmal sprechen uns auch Spaziergänger:innen an. Die öffentlichen Wege führen nämlich mehr oder weniger über das Vereinsgelände, deshalb ist immer was los. Noch so ein Vorteil dieses Ortes: Man begegnet auch Menschen, die mit Rudern nichts am Hut haben – weil eigentlich alle Oldenburger:innen gerne hier sind.

Das vielleicht größte Kompliment ist aber vielleicht dieses: Obwohl ich in den vergangenen zwei Jahren beinahe täglich am Achterdiek trainiert habe, ist die Fahrt dorthin nie langweilig geworden. Den Moment des Eintauchens ins Oldenburger Zweistromland genieße ich jedes Mal aufs Neue. Deshalb bin ich sicher: Auch wenn ich gar nicht so viel Zeit hatte, einen Lieblingsort zu entdecken – ich habe genau den richtigen gefunden.

©Christian Schwier

Die 21-jährige Elisa Patzelt ist gebürtige Hamburgerin, wuchs aber in Lüneburg auf. Dort begann sie auch mit dem Rudersport und wurde schnell zur Leistungsträgerin. 2019 erreichte sie bei der Junioren-WM im japanischen Tokio die Bronzemedaille. Nach einer Auszeit in Neuseeland startete sie ab 2020 in Oldenburg durch: im Regattaverband Ems-Jade-Weser / Team NordWest – und im Medizinstudium an der Carl von Ossietzky Universität. Geblieben ist der sportliche Erfolg: 2021 wurde sie im polnischen Kruszwica U23-Vize-Europameisterin .

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