Reduziert aufs Maximum

21. Mai 2021
"Winzig wohnen" © Tabo Schillig

„Wir sind noch da!“ – diese vier Worte begrüßen derzeit die Besucher*innen der Homepage der Engelmann Messe & Design GmbH aus Oldenburg. Ein kurzer Satz mit klarer Botschaft. Doch er steht für sehr viel mehr. Für eine Situation, die unseren Alltag völlig verändert hat. Die manche Branchen dauerhaft zur Untätigkeit zwingt. Die manchmal aber auch neue Wege aufzeigt.

Wir treffen Mathias Thoben, Geschäftsführer des mittelständischen Unternehmens mit 22 Beschäftigten. Seit über einem Jahr steht der Messebetrieb still, die Auftragsbücher des Messebauers sind leer. Wie hält man das aus? „Manchmal frage ich mich das auch“, wundert er sich. „Im letzten Frühjahr dachten wir noch, das geht alles schnell vorbei. Als im Sommer immer noch kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen war, haben wir selber eines angeknipst!“

Mehr Leben pro Quadratmeter

Dieses Licht hat einen Namen: „Winzig Wohnen“. Unter dieser neuen Marke startete der Messebauer die Produktion von sogenannten „Tiny Houses“. Dabei handelt es sich sind um vollwertige Wohnhäuser, die dank ausgefeilter Planung und raffinierter Ideen mit einem Bruchteil der üblichen Fläche auskommen. Sie liegt zwischen 15 und 45 Quadratmetern. Für Thoben lag der Schritt nahe: Genau wie Messestände werden die häufig mobilen Mikrohäuser in Holzbauweise gefertigt und verlangen individuelle Lösungen – von der Skizze bis zum Stellplatz.

"Winzig wohnen" © Tabo Schillig
Innenausstattung © Tabo Schillig

Zutaten


Zubereitung


Das neue Geschäftsfeld ist mehr als eine Notlösung. Das Gedankenmodell des Minimalismus zu einem weltweiten Trend geworden. Die Japanerin Marie Kondo hat sogar Aufräumen zur Kunstform erhoben. Auf Netflix schauen Millionen dabei zu, wie sie Rumpelkammern auf Vordermann bringt. Reduzierung wird zunehmend als Befreiung empfunden: in Kleiderschrank und Abstellraum, immer mehr aber auch in der Wohnform.

Um aus einem Minimum das Maximum zu schöpfen, benötigt man zweierlei: Kreativität in der Planung und Kompetenz beim Ausbau. Im Messebau ist die Engelmann GmbH dafür seit fünfundzwanzig Jahren bekannt, nun setzt sie ihre Expertise auch bei den Tiny Houses ein. Thoben: “Unsere Leute bringen alle nötigen Fähigkeiten mit. Trotzdem bedeutet so ein Schritt enormen Aufwand. Modelle, Maschinen, Marketing – alles muss gleichzeitig aufgebaut werden.“ Der Neustart verlangt Mut und kostet Kraft, doch er macht auch Spaß: „Wir wachsen ständig an dem, was wir tun“, freut sich der Geschäftsführer über den neuen Spirit im Team.

Tiny House Rohbau © Tabo Schillig
Engelmann GmbH Team © Tabo Schillig

Fantasie statt Fläche

Apropos Team: Bei den umfangreichen Investitionen, z.B. in spezielle Fräsen, hatte das Unternehmen einen verlässlichen Partner an ihrer Seite: „In so einer Situation wollen wir als Bank einfach helfen“, erklärt ein Kundenberater von der LzO. „Mathias Thoben kam mit einer spannenden Idee zu uns. Das haben wir gerne unterstützt und freuen uns über die neue Perspektive!“

Die gibt es in der Tat. Das Tiny House steht für Rückbesinnung auf das Wesentliche. Gleichzeitig ist es eine Antwort auf knappes Bauland, explodierende Immobilienpreise und hohen Ressourcenverbräuche. Und das Angebot möglicher Standorte wächst kontinuierlich. So wurde im Bebauungsplan für den ehemaligen Fliegerhorst in Oldenburg ein 2.000 qm großes Areal für Kleinstwohnungen und Tiny Houses reserviert. Auch im ländlichen Raum ist das neue Wohnen auf kleinem Raum ein Thema: im Landkreis Ammerland wird diskutiert, ob in Neubaugebieten Bereiche für Tiny Houses berücksichtigt werden sollten.  Bei Stellflächen auf Campingplätzen hängen die Möglichkeiten vom jeweiligen Betreiber ab, doch Interesse und Unterstützung nehmen zu. Auch Bauernhöfe könnten künftig nicht nur für Wohnmobilisten, sondern auch für Tinyhouseherren interessant werden. Zusätzliche Standorte dürften durch einen anderen Trend entstehen: das Tiny House als Anlageobjekt, eine nachhaltige Alternative zur Ferienwohnung.

Und der Preis eines Tiny House? Der hängt von vielen Faktoren ab – vor allem von den Wünschen der künftigen Nutzer*innen. Welche Größe soll es haben? Muss es autark sein? Möchte ich ökologische Baustoffe? All das hat Auswirkungen auf die Kosten. Die meisten Projekte bewegen sich letztlich in einer Größenordnung von 60.000 bis 80.000 €.

Innenausstattung © Tabo Schillig
Innenansicht © Tabo Schillig

„Wir sind noch da!“ ist deshalb nicht nur eine Begrüßung, sondern auch eine selbstbewusste Botschaft. Mit „Winzig Wohnen“ hat die Engelmann GmbH ein Geschäftsfeld erschlossen, das zeitgemäßer kaum sein könnte. Wenn das Glück tastsächlich mit den Tüchtigen – und Mutigen – ist, dann werden in Oldenburg-Tweelbäke in Zukunft viele Tiny Houses produziert. Und hoffentlich auch wieder: Messebauten. Denn das würde bedeuten, der Alltag ist zurück. Und diese Vorstellung war nie verheißungsvoller als jetzt.

 

Interesse geweckt? Auf der Homepage www.winzig-wohnen.de gibt es viele Informationen und Bilder zu den Tiny Houses made in Oldenburg. Dort lassen sich auch Termine für Beratungen und Besichtigungen vereinbaren.

Wer mehr über die Tiny House Bewegung erfahren möchte, besucht unter https://tinyfoundation.mystrikingly.com die Website der Tiny Foundation.