Das Start-up ImmerBunt zeigt, dass es geht:

Umweltschutz als Unternehmenszweck

9. Juni 2023

©ImmerBunt

Das Geschäftsmodell des Oldenburger Start-ups ImmerBunt GmbH ist nicht etwa der nächste Online-Shop, sondern die Anlage naturnaher Blühwiesen. Damit widerlegt das Team um Tom Junge (26) und Felix Jan Kunert (23) nicht nur die These, dass Unternehmertum und Umweltschutz schwer zu vereinen sind. Es macht sogar ein erfolgreiches Geschäftsmodell daraus. Wie gelingt ihnen das?

 


Geld verdienen, indem man der Natur etwas zurückgibt, anstatt ihr etwas wegzunehmen: Wie kommt man auf diese Idee?

Felix Jan Kunert: Ich bin in Itzehoe aufgewachsen und war dort als Pfadfinder immer in der Natur unterwegs. In der Schule habe ich mich dann für Themen wie Upcycling interessiert. Als ich in Groningen International Business Management studiert habe, wollte ich von Anfang an Wirtschaft und Nachhaltigkeit vereinen. Spätestens als eine Freundin bezweifelte, dass ich das schaffe, stand die Entscheidung für eine Gründung im Umweltsektor fest. Das hat mich total motiviert.

Tom Junge: Ich bin auf einem Bauernhof am Oldenburger Stadtrand groß geworden. Von klein auf hat mich begeistert, Samen in die Erde zu stecken und zu sehen, dass daraus etwas wächst. Mit vierzehn Jahren hatte ich mein erstes Gemüsebeet, das war 400 Quadratmeter groß. Die Erträge habe ich an unserer Auffahrt verkauft. Als Felix und ich uns im Studium kennengelernt haben, war eigentlich sofort klar, wohin die Reise geht.

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Wie würden Sie beschreiben, was Sie tun?

Junge: Es gibt zwei Säulen: Zum einen verwandeln wir Firmengelände in naturnahe Grundstücke, indem wir blühende Wiesen, Streuobstbäume und Hecken pflanzen. Wir übernehmen dabei die Rolle des Planers und Bauleiters, überwachen und koordinieren die Maßnahme aber auch mit externen Dienstleistern. Im Rahmen des Monitoring erstellen wir einen Nachhaltigkeitsbericht, der den ökologischen Mehrwert festhält.

Kunert: Zum anderen realisieren wir gemeinsam mit Landwirtinnen und -wirten großflächige Blühwiesen. Solche Maßnahmen sind für sie eigentlich unattraktiv geworden, weil die öffentlichen Zuschüsse viel zu gering sind. Durch den Aufbau von Kooperationen mit Bürger:innen, Kommunen und Unternehmen können wir solche Maßnahmen querfinanzieren und den Landwirtinnen und -wirten z.B. die Bepflanzungskosten, Pflegeaufwände und einen Umweltbonus zahlen. Hier liegt großes Potenzial, denn knapp fünfzig Prozent der Gesamtfläche in Deutschland wird landwirtschaftlich genutzt.

Gewinnt der Naturschutz also weiter an Bedeutung?

Kunert: Absolut. Ein befreundeter Künstler hat es einmal auf den Punkt gebracht: Das Thema unserer Generation ist die Umwelt. Damit setzt sich fast jede Person und auch so gut wie jedes Unternehmen auseinander.

Junge: Mitarbeiter:innen wissen es mittlerweile zu schätzen, wenn sich der Arbeitgeber für Umweltbelange einsetzt. Das spiegelt auch eine große Studie von Human Proof aus Heidelberg wider: Ein Drittel der jungen Talente sieht das Thema bei der Jobauswahl heutzutage als essentielles Kriterium an.

 

„Wir wollen aber, dass alle verstehen,
was es eigentlich heißt, Lebensräume zu schaffen.
Das funktioniert am Bildschirm nicht.“

Tom Junge, Gründer von „ImmerBunt“

 

Trotzdem verbringen vor allem die „Digital Natives“ immer mehr Zeit online …

Junge: Richtig ist, dass junge Menschen mit der Digitalisierung groß geworden sind und deshalb Zugriff auf sehr viele Quellen und sehr viel Wissen haben. Schon mein kleiner Bruder beschäftigt sich mit den großen Themen und schaut Dokumentarfilme dazu – das war vor fünfzig Jahren noch gar nicht möglich.

Kunert: Der Kontakt zur Natur muss aber definitiv da sein – und das ist er unserer Meinung nach leider zu wenig. Viele Menschen halten sich kaum in der Natur auf. Als ich klein war, hatte ich Glück, wenn ich mal eine Stunde an den Gameboy durfte. Den Rest der Zeit ging’s nach draußen, raus in den Wald oder in den Matsch. Das Verhältnis ist heutzutage oft umgekehrt. Wenn man eine Sprache lernt, klappt das auch am besten, indem man sie hört und spricht. Mit der Natur brauchen wir ebenfalls direkten Kontakt, um sie wirklich verstehen zu können.

Junge: Deshalb gehen wir unsere Projekte immer mit dem Ansatz der Interaktion und Partizipation an. Bei unseren „Blühwiesen-Tagen“ erleben wir immer wieder Kinder, die haben in ihrem Leben noch nie einen Regenwurm gesehen! Wir wollen aber, dass alle verstehen, was es eigentlich heißt, Lebensräume zu schaffen. Das funktioniert am Bildschirm nicht.

 

Sie sehen bei den Menschen also tatsächlich eine Veränderung, wenn sie ganz bewusst in Kontakt mit Natur treten?

Kunert: Dazu erzähle ich eine kleine Geschichte. Wir haben einmal mit einer Schulklasse einen Workshop gemacht. Wir sind über die Wiese gelaufen, haben Blumen gepflanzt, aber auch Lupengläser eingesetzt. Mit dem Ansatz: Mal sehen, ob wir irgendein Insekt einfangen, das wir uns dann angucken können. Ehrlich gesagt war unsere Vermutung, dass wir kein einziges erwischen. Am Ende des Tages hatte es aber jedes einzelne Kind geschafft – und alle waren total begeistert: „Oh, eine Hummel!“ – „Wie riesig! Wie schön!“ Was dieses Beispiel wunderbar zeigt: Sobald man das Thema fühlt, sobald die erste kleine Hürde übersprungen ist, ist jeder voll dabei.

 

„Wer mit Natur in Kontakt kommt,
will sie auch erhalten.“

Tom Junge, Gründer von „ImmerBunt“

 

Junge: Ich hab auch eine passende Geschichte: Eine Familie lebte direkt neben einer Blühwiese, die wir angelegt haben. Die Kinder haben dann auf der Wiese gespielt und verstanden, was dahintersteht und warum sie angelegt wurde. In ihrem Kindergarten haben sie dann ihren kleinen Freundinnen und Freunden davon erzählt. Schließlich haben alle ihr Taschengeld zusammengekramt, um eine Patenschaft für diese Wiese zu übernehmen und sie zu erhalten. Als der Anruf der Eltern kam mit dieser Botschaft – das war ein echter Gänsehautmoment für uns. Und er zeigt: Wer mit Natur in Kontakt kommt, will sie auch erhalten.

 

Wie sorgen Sie dafür, dass es zu solchen Begegnungen kommt?

Kunert: Über das Thema Biodiversität muss man auf jeden Fall noch mehr aufklären. Beim CO2 ist es vergleichsweise simpel: Verbrauche ich weniger, ist das gut – verbrauche ich keines, bin ich klimaneutral. Mit der Biodiversität ist das nicht so einfach, weil der Erhalt von einem natürlichen Ökosystem eine komplexe Aufgabe ist. Jedes Biotop unterscheidet sich von allen anderen. Man kann die Diversität nicht auf eine Variable herunterbrechen, weil jeder Fall individuell ist.

Junge: Deshalb gehört die Kommunikation zu unseren Aufgaben. Einerseits wollen wir Verständnis dafür wecken, dass die „Economy of Scale“ auch hier gilt. Das heißt: Es ist günstiger und effektiver, wenn wir gemeinsam große Flächen bewirtschaften, als wenn sich jeder nur um ein paar Quadratmeter kümmert. Andererseits sind die kleinen Maßnahmen zuhause auch wichtig und wertvoll, wenn zum Beispiel jemand den Laubhaufen über Winter für Igel liegen lässt. Darüber klären wir auf – in Workshops, Schulungen, Blogbeiträgen und Erklärvideos in den sozialen Medien.

Existiert die Unterstellung, dass Umweltschutz und Unternehmertum nicht zusammenpassen, trotzdem noch?

Kunert: Es kommen tatsächlich immer wieder Fragen, warum ein Quadratmeter Blühwiese pro Jahr einen bestimmten Betrag kostet. Dann erklären wir, dass wir eben ein Unternehmen sind, das Personal beschäftigt, das laufende Kosten hat. Es ist ja nicht damit getan, einfach nur Samen in die Erde zu bringen. Der ökologische Mehrwert einer Wiese ist von vielen Eigenschaften abhängig. Wie lange steht diese Fläche da, für ein Jahr oder hundert Jahre? Welches Saatgut verwenden wir? Ist das regional zertifiziert? Sind das wilde Arten oder ist es die klassische Kulturmischung aus dem Baumarkt?

Junge: Es gibt also ganz viele Faktoren, die relevant sind. Und offensichtlich ist, dass all die Initiativen durch kleine Vereine mit Sicherheit etwas gebracht, aber nicht gereicht haben. Deshalb binden wir die Wirtschaft konsequent mit ein. Dadurch können wir die Wertschöpfung, die auf Kosten unseres Ökosystems geschaffen wird, dafür nutzen, das System wieder zu stabilisieren. Wir wollen weg von dem Paradoxon, dass es leichter ist, Produkte zu vermarkten, die die Welt kaputt machen, als jene, die sie heilen.

©ImmerBunt

Nehmen wir an, unsere Leser:innen möchten selbst dazu beitragen, dass es mehr Blühwiesen gibt. Was können sie tun?

Kunert: Bisher machen Unternehmen wie dennree den Hauptteil unseres Umsatzes aus, weil es dort um große Dimensionen geht. Privatpersonen sind uns aber ebenfalls sehr wichtig! Deshalb bieten wir einfache Formen der Unterstützung an. Das funktioniert mit einer Blühwiesenpatenschaft, die man auf unserer Website abschließen kann. Damit können wir die Blühwiesen mehrjährig sichern und so ökologisch die besten Ergebnisse erzielen.

Junge: Das wiederum bedeutet ein regelmäßiges Monitoring und einen gewissen Pflegeaufwand, auch die Landwirtinnen und -wirte müssen dauerhaft kompensiert werden. Das Ganze läuft dann automatisch ab und das gute Gefühl gibt es dauerhaft statt nur einmalig. Los geht es ab 4 Euro im Monat – das ist gerade mal ein Cappuccino oder ein Bier im Monat weniger. In der Summe aber ergibt das einen großen Effekt, weil wir – wie eingangs erwähnt – die Energien bündeln.

 

Als Kinder sind Sie durch den Wald gerannt oder hatten die Hände im Matsch – heute führen Sie ein Unternehmen, das diese Dinge für künftige Generationen sichern will. Wie fühlt sich das an: verrückt oder folgerichtig?

Kunert: Verrückt wäre es gewesen, wenn es anders gekommen wäre. Solange ich zurückdenken kann, war Naturschutz ein wichtiges Thema für mich. Im Hinterkopf hatte ich immer das Ziel, etwas in dieser Art zu machen. Dass es jetzt so gekommen ist, fühlt sich zu einem gewissen Grad surreal an – aber sehr richtig!

Junge: In den letzten Jahren sind wir von Ereignissen geradezu überschwemmt worden. Deshalb brauche ich immer einen inneren Stimmungscheck, natürlich mitten in der Natur. Und ich stelle immer wieder fest, dass ich auf dem richtigen Weg bin und extrem erfüllt von dem, was ich tue. Ich kann abends nach Hause fahren und sagen: Okay, ich habe heute ein Stückchen dazu beigetragen, dass kommende Generationen erleben können, was ich erleben durfte. Das treibt mich an.

Über die Gründer

Tom Junge (l.) wurde 1996 in Oldenburg geboren, Felix Jan Kunert (r.) 1999 im schleswig-holsteinischen Itzehoe. Beide wuchsen in großer Nähe zur Natur auf. Nach dem Abitur begannen sie unabhängig voneinander ein Studium der Business Administration an der Hanze University of Applied Sciences Groningen. Dort entdeckten sie ihre gemeinsame Begeisterung für eine Gründung im ökologischen Sektor und ließen bald Taten folgen: Schon im Jahr 2020 wurde der Vorläufer der ImmerBunt GmbH in das Handelsregister eingetragen. Zwei Jahre später schlossen Junge und Kunert ihr Studium erfolgreich ab.

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