Konzepte gegen den Klimawandel im Oldenburger Land


Der Nordwesten ist die Heimat des „Schietwetters“. Nieselregen zählt hier fast als Sonnenschein und bei Orkanböen steigt niemand gleich vom Rad. Wie kann es also sein, dass auch hier bereits Vorboten des Klimawandels zu sehen sind?

16. März 2022

Wasserwerk Grossenkneten OOWV

Ausgetrocknete Bachläufe, abgestorbene Bäume und trockengefallene Moore, aber auch Überschwemmungen und Sturmfluten zeugen davon, dass wir ebenso davon betroffen sind. Bisher nur leicht – aber mit klarer Tendenz. Der Oldenburgisch-Ostfriesische Wasserverband (OOWV) setzt alles daran, diesen Herausforderungen zu begegnen.

Es war am 7. August 2020. Auf den Feldern drehten sich die Bewässerungsanlagen, in den Gärten spritzten die Rasensprenger und in den Pools planschten die Kinder. Ein unbeschwerter Sommertag? Nicht ganz. Denn an jenem Tag verzeichnete der Oldenburgisch-Ostfriesische Wasserverband (OOWV) mit 325.512 m3 die höchste Abgabemenge seiner Verbandsgeschichte. Dieser Wert lag 40 Prozent über dem durchschnittlichen Verbrauch – eine enorme Belastung für die Wasserwerke und das 14.000 Kilometer lange Rohrnetz.

Der heimliche Riese

Normalerweise kümmert sich der OOWV um die Versorgung seines Verbandsgebiets mit sauberem Trinkwasser und die Reinigung des Abwassers. Verlässlich. Solide. Unauffällig? Zumindest erfährt er dabei – beinahe wie das Wasser selbst – nicht immer die größte Aufmerksamkeit. Und das, obwohl wir uns ein Leben ohne ihn wahrscheinlich gar nicht vorstellen können – oder wollen.

Denn die Dimensionen sind spektakulär: Aus 267 Brunnen mit bis zu 167 Metern Tiefe fördert der OOWV 210 Millionen Liter Wasser – pro Tag! In seinen 15 Wasserwerken zwischen Wangerooge und Holdorf wird das keimfreie „Wundermittel“ aufbereitet und kontrolliert. Zudem reinigt der Verband in seinen 46 Klärwerken pro Jahr 32,5 Milliarden Liter Abwasser. Mit diesen Größenordnungen gehört er zu den führenden Wasserversorgern Deutschlands. Seine Kompetenzen und Expertise sind in der Fachwelt gefragt. Das Oldenburger Land profitiert direkt vor Ort davon.

Die Sache mit den Getränkekisten

Über die Herausforderung prosperierender Regionen und eines speziellen Doppeleffekts

Von dieser Normalität gab es zuletzt aber immer öfter Abweichungen. „In den letzten Sommern liefen alle Anlagen des OOWV am Limit. Es geht zunehmend um die Frage, wo die nötigen Wassermengen herkommen sollen, um das Wachstum im Nordwesten zu gewährleisten“, beschreibt OOWV-Sprecher Gunnar Meister den Zeitenwechsel. Das heißt: Nicht nur die Klimaveränderungen wirken sich aus, sondern auch der höhere Bedarf einer prosperierenden Region, vor allem des Oldenburger Münsterlands.

Problematisch ist der Doppeleffekt, dass Trockenheit und Hitze die Grundwasserbestände senken und gleichzeitig zu höheren Verbräuchen führen. „Pro Person nutzen wir in unserem Verbandsgebiet 115 Liter Wasser pro Tag. Das ist eigentlich ein guter Wert“, erklärt Meister. „Eine Stunde Rasensprengen verbraucht jedoch 800 Liter. Niemand würde auf die Idee kommen, 60 Wasserkisten aus dem Getränkemarkt zu holen und in den Garten zu gießen. Bei Leitungswasser sind die Hemmschwellen geringer.“

 

„Niemand würde 60 Wasserkisten aus dem Getränkemarkt holen und in den Garten gießen.“

Gunnar Meister (OOWV)

 

Die Folge: In den Sommermonaten muss der Verband inzwischen regelmäßig dazu aufrufen, sparsamer mit dem Wasser umzugehen. Noch weiter ging der Landkreis Vechta: Er sprach von Juni bis Oktober 2020 ein mehrmonatiges Beregnungsverbot aus. Insgesamt ist der Norden jedoch gut aufgestellt im Vergleich zu süddeutschen Gemeinden. Hier kam es bereits zur „Kaskadierung“, also zu einer Abgrenzung der Wasserverwendung nach Nutzergruppen. Morgens Industrie, nachmittags Landwirtschaft, abends Privathaushalte – ist das die Zukunft der Wassernutzung? „Vorerst nicht“, beruhigt Meister. Um gleich darauf zu mahnen: „Aber damit alles bleibt, wie es ist, müssen wir vieles verändern.“

Idee gesucht, Innovation gefunden

Mit der Innovationskraft des OOWV zu Konzepten gegen den Klimawandel

Verändern können wir zum Beispiel die Art, wie wir unser Trinkwasser nutzen. Darum ging es etwa beim Forschungsprojekt MultiReUse. Am Standort Nordenham suchte der OOWV gemeinsam mit Partnern nach Möglichkeiten, industriellen Abnehmern für ihren Betrieb speziell aufbereitetes Abwasser anzubieten. Das Ziel: mehr Trinkwasser für seine eigentliche Bestimmung erhalten. Schließlich werden in Deutschland aktuell etwa 77 Prozent des Grund- und Oberflächenwassers für industrielle Zwecke verwendet, ein enormes Einsparpotenzial. Und das Ergebnis? Es funktioniert! MultiReUse ist eine wirksame und wirtschaftliche Lösung für trockene Regionen innerhalb und außerhalb Deutschlands. Eine Innovation des OOWV mit dem Zeug zum Exportschlager.

 

 

Und damit nicht genug: In weiteren Forschungsprojekten beschäftigt sich der Verband u.a. mit der Bewirtschaftung der obersten Bodenschicht und deren Auswirkungen auf das Grundwasser, einer grenzüberschreitenden Wasserwirtschaft mit den Niederlanden, energieeffizienten Entsalzungsverfahren für salziges Wasser und Kooperationen bei der Klimawandelanpassung mit den baltischen Staaten. Kein Zweifel: Ohne Innovationen werden die Konzepte gegen den Klimawandel nicht auskommen. Aber der OOWV ist in dieser Hinsicht bestens aufgestellt.

Regenwasser von unten

Starkregen und Versiegelung – ein problematisches Paar

Dieser umfassende Ansatz ist u.a. deshalb nötig, weil auch das Gegenteil von Trockenheit zum Problem wird. Nämlich Starkregen. Die Bilder aus dem Ahrtal vom letzten Sommer sind uns allen noch in unguter Erinnerung. Ähnliches bleibt uns aus topografischen Gründen erspart, Hunte und Vechte werden also nicht plötzlich zu reißenden Strömen. Doch auch im Oldenburger Land häufen sich die Überschwemmungen. Das Problem: Durch die zunehmende Versiegelung versickert das viele Wasser nicht, sondern strömt direkt in die Kanalisation – und die ist für diese Extremfälle nicht ausgelegt.

Die unterirdischen Rohrleitungen werden auch perspektivisch nicht alle Niederschlagsspitzen aufnehmen können, die klimagerechte Umgestaltung unserer Siedlungsstrukturen wird noch viel Zeit benötigen. An Bedeutung gewinnen deshalb die Beratungsdienstleistungen des OOWV. „Anhand von 3D-Untergrundmodellen können wir die Grundwasserströme darstellen“, erklärt Gunnar Meister. Außerdem erstelle der Verband Starkregengefahrenkarten zur Überflutungsvorsorge in den Mitgliedskommunen: „Damit zeigen wir die Gefahrenstellen und das mögliche Schadenspotenzial durch Starkregen auf und schaffen die Grundlage für weitere Entscheidungen vor Ort.“

Mit Schildern und Schwämmen

Das Potenzial wassersensibler Stadtentwicklung

Ein Schwerpunkt liegt aber auch hier bei den Innovationen. So beteiligt sich der OOWV am Forschungsprojekt CATCH der Europäischen Union. Ziel ist es, Kriterien für eine wassersensible Stadtentwicklung zu definieren. Unsere Städte und Dörfer sollen in Zukunft so geplant – oder umgestaltet – werden, dass Probleme wie Überschwemmungen am besten gar nicht mehr auftreten.

Zunächst richtet sich der Fokus jedoch noch auf den Umgang mit den bereits spürbaren Auswirkungen. Ein erstes Ergebnis ist in Oldenburg bereits im Einsatz: ein intelligentes Verkehrsleitsystem für Starkregentage. Steigt der Wasserstand in einem Kanal über ein kritisches Level, aktivieren sich LED-Verkehrsschilder, die alle Fahrzeuge um die entsprechende Gefahrstelle herumleiten. Ordnungsamt, Feuerwehr, Polizei und ÖPNV werden automatisch informiert.

 

 

„Mit diesem Pilotprojekt beschreiten wir ganz neue Wege“, freut sich Annette Meyers, Leiterin des Amts für Verkehr und Straßenbau der Stadt Oldenburg. Regengüsse ließen sich durch solch innovative Lösungen zwar nicht verhindern. „Aber die Folgen können wir durch diese situative Verkehrslenkung abfedern.“

Deutlich weitreichender ist die Idee der Schwammstadt. Vereinfacht ausgedrückt geht es dabei um die Fähigkeit der örtlichen Strukturen, auf unterschiedliche Wetterlagen zu reagieren. „Mal müssen sie Wasser aufnehmen, mal sollen sie Wasser abgeben – genau wie ein Schwamm“, wie Entwässerungs-Experte Reinhard Hövel erklärt.

Tausend Kilometer Sicherheit

Das Ziel küstennaher Gebiete: bewohnbar und bewirtschaftbar bleiben

Der Klimawandel betrifft aber nicht nur die Niederschlagsmengen, sondern auch die Pegelstände an der Küste. Um sie kümmert sich der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN).

Die Experten gehen davon aus, dass sich der Anstieg der Meeresspiegel noch beschleunigt. Damit die küstennahen Gebiete in Friesland und der Wesermarsch weiterhin bewohnt und bewirtschaftet werden können, wird es mittelfristig höhere Deiche brauchen. Auch deren Schutz und Instandhaltung wird an Bedeutung gewinnen. „Angesichts einer Gesamtlänge von über 1.000 Kilometern eine monumentale Aufgabe“, weist Sprecher Carsten Lippe auf die Dimensionen hin.

Kies für die Küste

625 Millionen Euro zum Schutz vor zu viel Wasser

Von 2007 bis 2020 wurden Generalpläne für den Insel- und Küstenschutz einschließlich der Binnendeiche entwickelt. Zeitgleich wurden – etwa durch das Forschungsprojekt KliBiW – wissenschaftliche Zukunftsprojektionen und Folgeabschätzungen vorgenommen. Sie nehmen auch die neuesten Erkenntnisse des Weltklimarats (IPCC) auf. „Auf dieser Basis wird der Landesbetrieb mittelfristig 625 Millionen Euro investieren, um die Küsten Niedersachsens – und damit auch des Oldenburger Landes – vor Sturmfluten und dem Anstieg des Meeresspiegels zu schützen“, erklärt Lippe.

„Der Klimawandel kommt nicht, wir sind schon mittendrin.“

Gunnar Meister (OOWV)

 

Sicher, das Oldenburger Land ist kein Brennpunkt der globalen Klimakrise. Doch die großen Auswirkungen dieser Entwicklung – Temperaturanstieg, Extremwetterereignisse und der Anstieg des Meeresspiegels – lassen sich auch hier beobachten. „Der Klimawandel kommt nicht“, stellt Gunnar Meister fest.

„Wir sind schon mittendrin.“ Die gute Nachricht: Die Experten von OOWV und NLWKN arbeiten längst daran, die Folgen abzufedern. Und so kann unsere Region hoffentlich bleiben, was sie immer war – und was wir insgeheim lieben: die Heimat des „Schietwetters“!

Diese Verantwortung liegt jedoch nicht nur in den Händen von Wasserwirtschaft und Wissenschaft. Auch wir sollten – und können – einen Beitrag leisten. Etwa indem wir Städten „Saugkraft“ verleihen, wie in diesem Interview beschrieben. Aber auch, indem wir im Alltag bewusst mit Wasser umgehen. Wie? Das zeigen diese Alltagstipps .

Bildnachweise: ©OOWV; Q. Hưng Phạm von pexels; fnmpu von piqsels.com; Andy 1982 Wikimedia Commons

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