Handballtorhüterin Madita Kohorst

Vorbild ohne Vorbild

4. April 2025

@Felix Schlikis

Zum Handballsport kam Bundesliga-Torhüterin Madita Kohorst durch einen Zufall. Dass sie dabeiblieb, hat aber gute Gründe: Zum vorhandenen Talent gesellte sich nämlich der Wille, das eigene Spiel immer weiter zu verbessern. Dafür schaute sie bei anderen einiges ab. Ein Vorbild hatte sie aber nie – am Ende ginge sie immer ihren eigenen Weg.


„Siuuu!!“ So klingt der typische Torjubel von Fußball-Superstar Cristiano Ronaldo, garniert mit einer theatralischen Pose. Viele Kids haben diese Geste schon drauf, bevor sie überhaupt den ersten Treffer erzielen. Braucht es solche Idole und ihre bewusste Inszenierung? Geben sie den entscheidenden Anreiz, immer besser werden zu wollen? Sind sie vielleicht sogar nötig für eine hoffnungsvolle Sportkarriere?

Madita Kohorst würde dem vermutlich widersprechen. Die Stammtorhüterin des Handball-Erstligisten VfL Oldenburg ist der lebende Gegenbeweis für diese These. Ihre Laufbahn begann nämlich mit einem Zufall: Eine Freundin nahm die damals 10-Jährige mit zum Training des heimischen TV Dinklage. „Bis dahin hatte ich mich für Handball gar nicht interessiert“, erinnert sie sich zurück. „Es hat aber Spaß gemacht und einige Dinge klappten sofort gut.“ Schon bald wurde auch die passende Position frei: Gleich im ersten Punktspiel brach sich die bisherige Torhüterin den Finger – und Madita Kohorst sprang ein. „Ich weiß gar nicht, ob ich damals gut im Tor war oder einfach zu schlecht fürs Feld“, lacht sie heute. Schnell wurde jedoch deutlich, dass ersteres der Fall war.

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Die passenden Puzzlestücke

Dinklage bot jedoch schon bald nicht mehr die nötige Perspektive für das Talent aus der Ortschaft Wulfenau. Über die A-Jugend und das Drittliga-Team rückte sie noch als Jugendliche in den Kader des etablierten Bundesligisten VfL Oldenburg auf. Dort traf sie auf das „Urgestein“ Julia Renner und die spätere Weltmeisterin Tess Lieder. Spielerinnen, die durchaus als Vorbild getaugt hätten – die es aber nur zum Teil wurden. „Vor allem Julia kam an diese Rolle schon nah ran“, verrät Kohorst. Lieder hingegen habe sie vor allem durch ihre Zielstrebigkeit beeindruckt. „Sie wusste immer sehr genau, was sie wollte. Das ging mir gar nicht so.“

Auf ein gedankliches Podest stellte sie die Teamkolleginnen dennoch nicht. „Ich habe mir von beiden etwas abgeschaut und in mein Spiel integriert“, beschreibt Madita Kohorst ihre Strategie. Das habe sie auch bei Stars wie Katrine Lunde und Clara Woltering gemacht – und so setzte sie ihr eigenes Spiel wie ein Puzzle zusammen. Mit Erfolg: Im Januar 2016 absolvierte sie ihr erstes Bundesliga-Spiel – mit gerade einmal 19 Jahren.

 

„Orientiert man sich sehr an anderen,
läuft man Gefahr, sie nur zu kopieren.“

Madita Kohorst, Handballtorhüterin des VfL Oldenburg

 

Letztlich sei es typabhängig, ob jemand große Ziele und Vorbilder brauche oder nicht, findet die 28-Jährige. Für sie selbst habe das aber nie eine Rolle gespielt: „Wenn man sich sehr an anderen orientiert, dann läuft man Gefahr, sie nur zu kopieren. Ich wollte aber immer ich selbst sein und meinen eigenen Weg gehen.“ Und dieser führte schließlich weg aus Oldenburg.

Im Sommer 2018 schloss Madita Kohorst sich zunächst dem TuS Metzingen an. Die professionellen Bedingungen des schwäbischen Clubs ermöglichten ihr den nächsten Entwicklungsschritt: Mit starken Auftritten spielte sie sich in das Blickfeld noch größerer Vereine. Nach drei Spielzeiten wechselte sie schließlich zum amtierenden deutschen Meister Borussia Dortmund und erlebte dort die bisherigen Höhepunkte ihrer Karriere. „Die Champions League, das Final-Four-Turnier der European League – das waren ganz besondere Erlebnisse“, erinnert sich die 1,85 Meter große Torfrau zurück. Doch auch in der Bundesliga war diese Zeit erfolgreich: In der Saison 21/22 erreichte Kohorst mit ihrem Team die Vizemeisterschaft. Die letzten Spiele erlebte sie jedoch von der Tribüne aus: Im April riss im Spitzenspiel gegen Bietingheim das rechte Kreuzband und verdammte die Torhüterin über viele Monate zum Zuschauen.

Statt Vorbild ein innerer Kompass

Eine schwere Zeit, zumal die Verletzung auch die Nationalmannschaft in weite Ferne rücken ließ. Sie war ohnehin ein schwieriges Thema für Madita Kohorst. Obwohl sie für die Juniorinnen-Auswahl spielte und seit acht Jahren zum erweiterten Kader des DHB-Teams gehört, kam es bisher zu keinem einzigen Einsatz. „Ich glaube, ich bin Rekordhalterin im Fast-Dabeisein“, nimmt sie die Sache mit Humor. Doch auch etwas Wehmut ist zu spüren. Selbst wenn die angehende Lehrerin für Deutsch und Biologie nie zu jenen gehörte, die ihr Lebensglück allein über den Sport definieren: Sie ist dennoch ehrgeizig genug, alles erreichen zu wollen, was realistisch erscheint. Maßgeblich dafür ist allerdings nicht etwa das große Idol oder der ausgefeilte Karriereplan, sondern ein innerer Kompass, der die Richtung vorgibt. Und der schlug durchaus auch zur Nationalmannschaft aus.

Dennoch ist keine Reue zu spüren, wenn Kohorst zurückblickt. Sie hadert nicht, nur weil nicht alles optimal verlief. „Ich hätte zu Clubs im Ausland wechseln können, die in der Champions League eine wichtige Rolle spielen“, ist sie sich bewusst. Das hätte auch ihre Chancen in der Nationalmannschaft erhöht. „Ich hatte aber immer Gründe für meine Entscheidungen. Ich würde sie wieder so treffen.“ Madita Kohorsts Blick zurück ist ebenso reflektiert wie der Blick nach vorn. Dabei gelingen ihr gleich mehrere Gratwanderungen – zwischen Leidenschaft und Zurückhaltung, zwischen Ambition und Realismus, zwischen Europapokal und Heimatliebe.

Letztere spielte auch bei einem weiteren Wechsel eine Rolle. Im Sommer 2023 kehrte Madita Kohorst nach fünf Jahren im Süden und Westen der Republik zurück zum VfL Oldenburg. Der Club spielt weiterhin eine solide Rolle in der Bundesliga, doch die Königsklasse war bisher kein Thema. Ein Rückschritt also? Madita Kohorst sieht das nicht so: „Nach meinem Kreuzbandriss brauchte ich auch mental volle Unterstützung“, stellt sie fest. Die habe sie bei ihrem Trainer in Dortmund nicht mehr gespürt – wohl aber beim VfL.

@Felix Schlikis

Sehr wohl selbst ein Idol

Spätestens hier, in der alten Heimat, ist Kohorst selbst zu einem Idol geworden. Spiel für Spiel liefert sie überzeugende, oft überragende Leistungen ab. Dabei bleibt sie für alle Fans jederzeit ansprechbar – vor allem aber für die Jüngsten. Nachdem sie selbst einst ihre Karriere ohne ein Vorbild startete, ist sie nun plötzlich eines für andere. Ist das ein komisches Gefühl? „Nein gar nicht“, antwortet sie entschlossen. „Es ist einfach schön, nach dem Spiel Autogramme zu schreiben und dabei zu spüren, wie wichtig das für die Kinder ist.“ Sie selbst ist in der Jugend zwar einen anderen Weg gegangen – sie schreibt aber anderen nicht vor, wie sie ihren eigenen finden. Und wer weiß? Vielleicht schauen sich die kleinen Fans auch nur ein Puzzlestück bei ihr ab, um schließlich ihr eigenes Bild zusammenzusetzen.

Theatralik und Inszenierung sind nicht die Sache von Madita Kohorst. Ein „Siuuu!!“ wird man von ihr nicht hören. Trotzdem ist sie eine leidenschaftliche, ambitionierte Spielerin, die auf der Platte alles gibt und die jederzeit bereit ist, ihr eigenes Spiel zu verbessern. „An mir kann man vielleicht sehen, dass es verschiedene Wege zum Erfolg gibt – und dass man einfach auch man selbst sein kann.“ Vielleicht war es diese gesunde Einstellung, die ihre glänzende Handballkarriere erst ermöglichte. Ganz sicher macht sie Madita Kohorst aber zu einem Vorbild ohne Vorbild.

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