Im Gespräch mit Telim Tolan

Eine Frage der Haltung

12. September 2025

©Antonia Ayyilduz

Für Telim Tolan, Filialleiter bei der LzO, war als Kind einer Gastarbeiterfamilie eine Zukunft in Deutschland nicht immer selbstverständlich. Um andere Jesidinnen und Jesiden zu unterstützen, gründete er das jesidische Forum Oldenburg mit – und erhielt für sein Engagement im Oktober 2024 das Bundesverdienstkreuz. Uns verrät er, wie die Integrations- und Hilfsarbeit ihn prägt und was er sich für die Zukunft wünscht.

 

 


Herr Tolan, Sie engagieren sich im jesidischen Forum Oldenburg. Können Sie uns etwas mehr zur Organisation und Ihrer Tätigkeit dort verraten?
Das jesidische Forum Oldenburg wurde 1993 gegründet. Den Anstoß gab eine Gruppe junger Jesidinnen und Jesiden, zur Gründung kamen auch Ältere hinzu – so entstand ein Vorstand, in dem Jung und Alt Verantwortung übernahmen. Ich war einer von ihnen. Von Anfang an haben wir gemeinwesenorientierte Arbeit geleistet, Familien beraten und Räume geschaffen, in denen wir unsere kulturelle und religiöse Identität leben und weitergeben können.

Ein Schwerpunkt war die Flüchtlingssozialarbeit. Die Begleitung bei Asylverfahren, Erstellung von Menschenrechtsberichten, Hilfe im Alltag. Nach dem Völkermord 2014 intensivierte sich diese Arbeit erneut, etwa durch Hilfstransporte, Spendenaktionen und internationale Hilfsprojekte.Daneben sind die Jugend- und Kinderarbeit sowie die Öffentlichkeitsarbeit feste Säulen. Viele Akteurinnen und Akteure begleiten junge Menschen – wir tragen dazu bei, indem wir Kompetenzen und Orientierung vermitteln und sie ermutigen, Verantwortung zu übernehmen. Auch Mädchengruppen, Religionsunterricht und öffentliche Veranstaltungen, die unsere Religion und Kultur sichtbar machen, gehören dazu. Viele aus unserer Gemeinschaft haben ihren Weg gemacht. Jesidinnen und Jesiden sind längst Teil der Gesellschaft.

 

„Wer in seiner Familie Flucht, Entbehrung und Unsicherheit erlebt hat, der weiß, wie wertvoll es ist, heute in Deutschland in Freiheit und Sicherheit leben zu dürfen.“ – Telim Tolan

 

Was brachte Sie dazu, sich ehrenamtlich für Jesiden und Jesidinnen einzusetzen?
Das Engagement für andere Menschen und die Verbundenheit mit unserer Kultur und Religion haben mich schon als Kind geprägt. Mein Umfeld war von Migration und Neubeginn bestimmt: Ich komme aus einer Gastarbeiterfamilie, meine Eltern hatten selbst Fluchthintergrund und kaum Bildungschancen. Mein Vater arbeitete zeitweise in zwei Jobs, meine Mutter zog sieben Kinder groß und arbeitete zusätzlich als Reinigungskraft, um das Nötigste zu sichern.

Wir wuchsen in einfachen Verhältnissen auf, teilten uns die Zimmer zu dritt oder viert. Unsere Eltern haben uns trotz aller Schwierigkeiten gestärkt und uns Werte mitgegeben, die unser Handeln bis heute tragen: Ehrlichkeit, Fleiß und Verantwortung. Wer in seiner Familie Flucht, Entbehrung und Unsicherheit erlebt hat, weiß, wie wertvoll es ist, heute in Deutschland in Freiheit und Sicherheit leben zu dürfen. Dieses Land eröffnet uns Chancen – und es fordert zugleich, dass wir alle etwas beitragen, jeder nach seinen Möglichkeiten. Darum ist Ehrenamt für mich mehr als Engagement: Es ist eine Frage der Haltung. Verantwortung übernehmen, nicht nur für die eigene Gemeinschaft, sondern für die Gesellschaft insgesamt.

© Stadt Oldenburg

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ehrte Telim Tolan am 17. Oktober 2024 in Nordhorn mit dem Bundesverdienstkreuz. Gemeinsam mit Sahap Dag wurde er für sein langjähriges Engagement im Yezidischen Forum Oldenburg und im Zentralrat der Yeziden in Deutschland ausgezeichnet.

„Es ist mir wichtig, dass ehrenamtliches Engagement als das anerkannt wird, was es ist: eine tragende Säule unseres Gemeinwesens.“ – Telim Tolan

 

Was war für Sie persönlich ein besonders prägendes Erlebnis?
Der Völkermord an den Jesiden 2014 im Irak war ein Wendepunkt. Persönlich wie für unsere Vereinsarbeit. Uns hat die Brutalität erschüttert, mit der der IS die Menschen überfallen hatte. Tausende wurden getötet, verschleppt oder versklavt.Da gab es kein Zögern – wir handelten sofort. Wir reisten mehrfach in den Nordirak und betrieben dort über zwei Jahre eine Einrichtung für mehr als 100 Frauen und Kinder täglich. Es war eine traumatische Zeit, aber auch ein Beweis dafür, wie viel möglich ist, wenn Menschen zusammenstehen.

Gibt es eine Verbindung zwischen Ihrem ehrenamtlichen Engagement und Ihrer beruflichen Tätigkeit bei der LzO?
Ja, eine sehr enge. Seit über 30 Jahren arbeite ich als Bankkaufmann, heute als Leiter der LzO-Filiale Bahnhofstraße in Delmenhorst. In beiden Rollen geht es um Vertrauen, regionale Verantwortung und darum, Menschen vor Ort Perspektiven zu geben. Die Sparkasse steht für Nähe und Verlässlichkeit. Genau das treibt mich auch im Ehrenamt an: Strukturen schaffen, die tragen, und Beziehungsarbeit leisten, die über den Moment hinausgeht. Vieles, was ich in der Bank gelernt habe, etwa in Führung, Organisation und Kommunikation, nutze ich auch im Verein. Und umgekehrt geben mir die Erfahrungen im Ehrenamt eine besondere Sensibilität für Vielfalt und die Lebensrealitäten der Menschen.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft Ihrer ehrenamtlichen Arbeit?
Unsere Arbeit ist über Jahrzehnte gewachsen, sie erreicht viele Menschen und trägt spürbar zum sozialen Zusammenhalt bei. Das war nur möglich, weil wir starke Wegbegleiter und Mitkämpfer an unserer Seite hatten – Ehrenamtliche, Mitglieder, Politikerinnen und Politiker, Partnerorganisationen und Freunde. Ihnen gilt mein besonderer Dank. Mir ist wichtig, dass ehrenamtliches Engagement als das gesehen wird, was es ist: eine tragende Säule unseres Gemeinwesens. Und ich wünsche mir, dass sich auch künftig viele junge Menschen motivieren lassen, Verantwortung zu übernehmen – weil sie erleben, dass ihr Einsatz wirkt und gebraucht wird.

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