Theatralische Lockerungsübungen

8. Oktober 2020
© Staatstheater Oldenburg, Fotograf: Stephan Walzl

Und plötzlich fiel der Vorhang. Wo eben noch Stimmen bebten und Körper tanzten, wo Augen leuchteten und Beifall toste, da war auf einmal: nichts mehr. Stille und Leere legten sich über die Bühnen des Oldenburgischen Staatstheaters wie feiner Staub.

“Es war unwirklich. Surreal. Dystopisch. Mitte März herrscht normalerweise Hochbetrieb”, beschreibt Theaterpädagogin Dorothee Emsel die Situation. “Natürlich war das ein Schock”, gibt auch Regieassistentin Mathilda Kochan zu. “Aber nichts tun? Das kam gar nicht in Frage. Spielfreude ist wie ein Fieber, das muss raus. Am liebsten auf die Bühne. Und wenn das nicht geht – dann sucht man sich eben was.”

Man sagt: Krisen seien Katalysatoren. Das heißt: Sie funktionieren als Prozessbeschleuniger. Und so war es auch hier. Aus dem jähen Nichts entstanden neue künstlerische Aktionen, neue digitale Formate, neue Formen der Zusammenarbeit – und auch: neue Bindungen zum Publikum. „Wir haben uns einfach was getraut”, erklärt Gesine Geppert, Leiterin der Sparte 7 – seit jeher verantwortlich für kühne Experimente und andere Wagnisse. “Man kann in solchen Phasen nicht alles bis ins letzte Detail durchdenken, man muss auch einfach mal machen!”

© Staatstheater Oldenburg, Fotograf: Stephan Walzl
© Staatstheater Oldenburg, Fotograf: Stephan Walzl

Zutaten


Zubereitung


Das “Machen” begann mit #kreativzuhause – einem Blick in die “Home Offices” des künstlerischen Personals. Es folgten die “Schauspieler an der Strippe”, mit denen man über die Relativitätstheorie plaudern oder ihnen beim Rezitieren ihrer Lieblingstexte lauschen konnte. Besonders spektakulär war die “Deichfahrt”, ein Schauspiel- und Opern-Programm auf der Hunte, mit sicherem Abstand zum Ufer. Zusammen mit dem Lokalsender Oeins entwickelte man die “Bühne Eins”, ein digitales Theater mit Live-Programm aus der Exerzierhalle. Im Juli und August gab es mit dem “Fensterln” außerdem dreimal Kulturhäppchen aus Fenstern in der Oldenburger Innenstadt. Und schließlich realisierte Kochan noch “Die Loge”: einen Theatersaal für eine einzige Person in einem leerstehenden Geschäft in der Oldenburger Innenstadt. Abstände? Hier kein Problem.

Die bange Frage war jedoch: Würde sich überhaupt jemand für die neuen Angebote interessieren? Klare Antwort: Und ob! Die Resonanz beim Publikum schwankte zwischen Erleichterung, Freude und Dankbarkeit. “Es schien beinahe so, als wäre die Kunst das einzige, das die Menschen auf natürliche Weise beruhigt und zusammenbringt”, beschreibt Emsel ihre Eindrücke. Ein wunderbarer Nebeneffekt der digitalen Angebote: Sie hatten keine räumlichen Grenzen. Plötzlich saß die gesamte Region in der ersten Reihe.

“Ich will die Zeit nicht schönreden”, resümiert Intendant Christian Firmbach. “Ganz im Gegenteil, sie war überaus frustrierend. Aber was wir draus gemacht haben, wie viel Herzblut wir gegeben haben und wie das angekommen ist – das macht mich stolz.”

Seit dem 29. August läuft bereits die neue Spielzeit – allerdings weiterhin mit den strengen Abstandsvorschriften für die Bühne. Das Staatstheater reagiert darauf gewohnt kreativ – mit einem “Kammerspielplan”, der die Themen und die Mittel zur Darstellung auf das Wesentliche komprimiert. Diese Reduktion ermöglicht neue Ideen und Formate, für die sonst nur wenig Raum ist.

So bleibt es auf den Bühnen zwar weiterhin vergleichsweise still und leer – aber der Vorhang geht wieder auf. Und ganz gefallen war er sowieso nie.