Einfach sein dürfen


Wenn ich gefragt werde, warum ich als Bewohnerin die Wesermarsch so reizvoll finde, stelle ich gerne eine Gegenfrage: Wer kann einfach mal so ans Wasser fahren, ohne drei Wochen Urlaub nehmen zu müssen? Genau: wir! Und das tun meine Familie und ich regelmäßig und sehr gerne.

23. September 2022

Kerstin Held und Kinder

©Linda Grüneisen
©Inola Hofrichter
©Inola Hofrichter

Neben den Weserterrassen in Nordenham mögen wir vor allem den Strand von Eckwarderhörne und Burhave – hier fühlt man das Wetter auf der Haut, den Wind an den Ohren und die Seeluft in der Nase. Das Klima ist perfekt geeignet für die physische Entwicklung der Lunge einer meiner kleineren Schützlinge. Gleichzeitig freut sich „meine Große“, dass sie trotz ihrer 17 Jahre in Ruhe mit Matsch schmeißen kann, ohne dass sich jemand gestört fühlt.

Man merkt es schon: Wir haben ganz eigene Bedürfnisse. Denn meine Familie sind meine vier Pflegekinder, die ich wegen ihrer teils starken und mehrfachen Behinderung gemeinsam mit Pflegekräften versorge. Versorgen – das heißt für mich sicherzustellen, dass es ihnen körperlich und emotional gut geht. Gar nicht so einfach bei Diagnosen wie chronische Lungenerkrankung, Fetales Alkoholsyndrom und Autismus.

Aber: Meine Kinder sollen mit dem Gefühl groß werden, geborgen und geliebt zu sein, genau so wie sie sind. Jemanden vorbehaltlos annehmen – das können die Bewohner:innen der Wesermarsch übrigens gut. In Ovelgönne, unserem Zuhause, werden wir nicht als Exoten wahrgenommen. Wir gehören einfach dazu. Diese Unaufgeregtheit empfinde ich als sehr wohltuend. Ebenso wie die Weitläufigkeit von Meer und Landschaft. Als ich 2009 vom Münsterland hierhergezogen bin, habe ich mich ständig auf den Landwegen verfahren, die schier endlos mäandern. Heute bedeutet die Weite für mich Lebensqualität. Sie gibt mir Raum und Ruhe, wenn ich eine Auszeit brauche.

©Gemeinde Ovelgönne
©Gemeinde Ovelgönne

 

„Jemanden vorbehaltlos annehmen – das können die Bewohner:innen der Wesermarsch gut.“
Kerstin Held

 

Das wird mir umso bewusster, wenn ich nach Terminen in Berlin wieder zurückkomme. Dort vertrete ich als Vorsitzende des Bundesverbands behinderter Pflegekinder ihre Interessen. Über den Europaplatz zum Parlament laufe ich genauso gerne wie über den Marktplatz von Ovelgönne mit seinem historischen Charme und den denkmalgeschützten Fassaden. Diese Kontraste inspirieren mich. Das heißt aber nicht, dass in der Wesermarsch nichts los wäre! Beispiel Musiksommer: Von Juni bis September werden in allen neun Kommunen des Landkreises verschiedene Konzerte gespielt. Und wir sind mittendrin – meine älteste Tochter liebt nämlich Livekonzerte. Aber mittendrin sind wir sowieso immer. In der Gesellschaft und im Leben.

©Linda Grüneisen

Kerstin Held (46) trägt ihren Nachnamen zu Recht: Seit über 20 Jahren nimmt sie regelmäßig behinderte Pflegekinder bei sich auf und begleitet sie mit viel Hingabe und Herz ein Stück auf ihrem Lebensweg. Die Trägerin des Bundesverdienstkreuzes setzt sich sowohl privat als auch politisch dafür ein, dass Inklusion in aller Selbstverständlichkeit gelebt wird. Von der Autorin ist 2020 das Buch „Mama Held – Jedes Kind hat ein Recht auf Familie“ erschienen.

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