Bodenständig durchstarten


Über Start-ups existieren viele Klischees. Eines davon: Sie fühlen sich nur in den großen Metropolen zuhause. Tatsächlich stammen die bekanntesten deutschen Jungunternehmen allesamt aus Berlin. Doch das Bild ist verzerrt. In der Summe sind weniger als ein Fünftel der Start-ups an der Spree zuhause, der Rest verteilt sich über das gesamte Land. Denn auch in Regionen wie dem Oldenburger Land gibt es Faktoren, die Start-ups beflügeln.

26. August 2022

ZUKUNFT unternehmen

©Thorsten Lange

Ortstermin in Oldenburg: Ein Gewerbegebiet am nördlichen Stadtrand. Logistische Zweckbauten säumen die Straßen, schwere Lastwagen rollen über die Höfe. Ausgerechnet hier soll es Start-ups geben? Ja, tatsächlich: In einer ehemaligen Produktionshalle für Fensterglas stapeln sich ausrangierte Seefracht-Container, die zu Arbeitsplätzen für Jungunternehmen umgebaut wurden. Dazwischen: Sitzbänke, Liegestühle, Orte des unverbindlichen Austauschs.

©ZUKUNFT.unternehmen
Mehr Pipi Langstrumpf wagen

Dies ist die Heimat von ZUKUNFT.unternehmen, einem An-Institut der Carl von Ossietzky Universität. Das heißt: In den Containern wird gearbeitet, aber auch geforscht. „Letztlich sind wir ein Reallabor“, erklärt Geschäftsführerin apl. Prof. Dr. Stephanie Birkner. „Wir beschäftigen uns mit der Frage, wie wir unternehmerisches Denken und Handeln unterstützen können.“ Dabei spielen Begegnungen eine wichtige Rolle. Deshalb braucht es Orte, die dazu anregen – wie das Containerdorf inmitten eines Gewerbegebiets.

„Es geht nicht um eine konkrete Idee“, erläutert Birkner weiter, „sondern um eine Kultur, die immer wieder neue Ideen hervorbringt.“ Als Vorbild nennt sie weder Steve Jobs noch Elon Musk, sie nennt Pipi Langstrumpf. Die war nämlich überzeugt: „Das habe ich noch nie vorher versucht, also bin ich völlig sicher, dass ich es schaffe.“ Start-up zu sein sei vor allem eine Frage der Haltung. Es gehe darum, Bedarfe zu erkennen, eigene Lösungen zu entwickeln – aber auch zu sehen, wer unterstützen kann. Und diese Haltung lässt sich grundsätzlich überallhin übertragen, an den Küchentisch oder ins Klassenzimmer.

Ökosystem mit Pizzabude

Start-ups definieren sich zwar in erster Linie über Innovation und Wachstum, aber Birkner sieht mehr in ihnen: „Im Oldenburger Land existiert eine besondere Gründungskultur. Es geht nicht darum, eine Idee möglichst schnell groß zu machen, sondern darum, Veränderungen zu bewirken.“ Und das vor allem gemeinsam, ergänzt Innovationsmanager Benny Hartwig: „Im Englischen gibt es den Ausdruck ‚raise by lifting others‘ – steig auf, indem du andere förderst. Genau das passiert hier, ganz selbstverständlich.“

Neben dem richtigen Mindset sind es vor allem die Orte, von denen die jungen Entrepreneurinnen und Entrepreneure profitieren. Ein Beispiel: das Core in Oldenburg, ein urbaner Co-Working Space mit 150 festen und flexiblen Arbeitsplätzen und eigenem Food Court. „Start-ups brauchen Flexibilität“, weiß Lisa Bürger, die als Projektleiterin für den Aufbau des Core verantwortlich war. „Bei uns finden sie alles, was sie brauchen. Wieviel sie davon nutzen, entscheiden sie nach Bedarf.“

Weitere Orte setzen andere Schwerpunkte, doch gemeinsam bilden sie ein Ökosystem, in dem junge Unternehmen wachsen können. „Es ist wie mit der Disco und der Pizzabude daneben,“ schmunzelt Birkner. „Sie würden sich gegenseitig nie als Konkurrenz sehen, aber beide bedienen das gleiche Grundbedürfnis – nach einem richtig guten Abend.“

©Ulf Duda
Landluft? Nein: Frischer Wind!

Orte wie das Core findet man mittlerweile auch im ländlichen Raum. „Wir haben im Münsterland schon eine sehr erfolgreiche Gründungsinitiative“, berichtet Dirk Gehrmann vom Landkreis Cloppenburg. „Jetzt folgen konkrete Angebote für Start-ups.“ Der START:PUNKT im ecopark Emstek-Drantum bietet Möglichkeiten, die man früher in Großstädten verortet hätte: Räume für Gründer:innen, Workshops, Co-Working.

Ein zweiter START:PUNKT hat in der Vechtaer Innenstadt den Betrieb aufgenommen. Beide nutzen das Know-how von TrENDi, dem Start-up-Service der Universität Vechta. „Wir sind dankbar, dass wir neben der Gründungsberatung nun auch Orte schaffen können,“ erklärt die wissenschaftliche Leiterin Prof. Dr. Jantje Halberstadt. „Hier können sich Hochschulangehörige mit Bürger:innen und Unternehmen der Region vernetzen und Gründungsideen entwickeln.“

©TGO
Von der Hochschule zur Löwenhöhle

Aber wie ist die Entwicklung? Einen guten Überblick hat Jürgen Bath. Seit fast zwanzig Jahren ist er Geschäftsführer des Technologie- und Gründerzentrums Oldenburg (TGO), zudem Vorstandsmitglied im Bundesverband Deutscher Innovationszentren (BVIZ). Hat er über diese lange Zeit Veränderungen festgestellt? „Die Bereitschaft zu gründen, ist definitiv gestiegen“, resümiert er. „In den Schulen und Hochschulen gibt es neue Angebote, aber auch gesellschaftlich und medial sind Start-ups ein großes Thema geworden, etwa durch die TV-Show ‚Höhle des Löwen‘. Dadurch beschäftigen sich viel mehr Leute damit als früher.“

Das TGO ist selbst ein Beispiel für diese Entwicklung. Über sechzig Firmen haben hier ihren Sitz, frühere Mieter wie energy & meteo systems und smaract haben längst eigene Firmensitze und weit über hundert Mitarbeiter. „Die Start-ups sind der Mittelstand von morgen – deshalb ist es so wichtig, sie zu unterstützen“, stellt Bath fest. Eine wichtige Ergänzung zum TGO ist seit 2018 das ‚GO! Start-up Zentrum‘. Es übernimmt die Rolle des Accelerators und begleitet die Gründer:innen in einer sehr frühen Phase durch intensives Coaching. „Die Nachfrage übersteigt das Angebot bei weitem, daran hat auch Corona nichts geändert.“ Vierzig Start-ups konnten von dem Programm bereits profitieren, unter ihnen MeinMarktstand und Herodikos.

Wohlfühlfaktor als Standortvorteil

Nach den Gründen für den Erfolg gefragt verweist Bath auch auf die Hochschulen: „Da werden richtig gute Leute ausgebildet.“ Hartwig bestätigt das: „Die Absolventinnen und Absolventen fühlen sich wohl hier, viele von ihnen bleiben. Das ist ein Glücksfall!“ Immer wichtiger wird aber auch das Ökosystem. Auffällig dabei: Kirchturmdenken spielt keine Rolle, alle Akteurinnen und Akteure betrachten sich als Teil der regionalen Start-up-Kultur. „Wir müssen nicht immer nach Berlin schauen oder ins Silicon Valley“, stellt Birkner fest. „Wir haben eigene Qualitäten.“ Die seien auch ein Grund, warum so viele ‚Auswanderinnen und Auswanderer‘ wieder zurückkehren. „Die haben dann neue Erfahrungen im Gepäck und können sie hier einbringen. Die Region profitiert davon.“

Egal ob Küste oder Münsterland, ob Großstadt oder Kleingemeinde: Die Start-up-Kultur im Oldenburger Land entwickelt sich positiv. Dank der Digitalisierung und Dank eines wachsenden Start-up-Ökosystems sind die Aussichten für Gründer:innen so gut wie nie. Und sie finden im Oldenburger Land – abseits der Metropolen und Klischees – Bedingungen, die sie beflügeln. Beste Voraussetzungen also, um bodenständig durchzustarten.


Facts & Figures
2.013

Start-ups zählt der Deutsche Startup Monitor 2021.

85 %

der Gründer haben einen hochschulischen Hintergrund.

17,7 %

wurden durch Frauen gegründet.

35.589

Mitarber:innen arbeiten in diesen Start-ups.

91,6 %

von ihnen wollen weitere Mitarbeiter:innen einstellen.

163

der Start-ups kommen aus Niedersachsen. Unter den Bundesländern belegt es den fünften Rang.

4

Diesen Platz belegt die Universität Oldenburg unter den gründungsfreundlichsten Hochschulen in Deutschland (mit mehr als 15.000 Studierenden).

Quellen: Deutscher Startup Monitor 2021; Gründungsradar – Große Hochschulen

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