DER FÖRSTER

Als Maßstab im Wald: das große Ganze

26. Mai 2023

©Marcus Windus

Ohne Natur will und kann Christian Schulze Döring nicht. Das gilt privat wie beruflich: Er ist Bezirksförster in Westerstede und der Wald somit sein Arbeitsort. Er kann ihn sehr genau lesen; weiß, wann es ihm gut geht und wann das fein austarierte Ökosystem droht, aus dem Gleichgewicht zu geraten. Das ist oft dann der Fall, wenn ihn Menschen aufsuchen – eigentlich streben sie etwas Gutes an, indem sie von der wohltuenden Wirkung des Waldes profitieren wollen. Was ihm guttut, rückt dabei allerdings manchmal in den Hintergrund. Über einen Sehnsuchtsort, der den Blick fürs große Ganze erfordert.


Wer den Wald betritt, sollte es vor allem auf eine Weise tun: möglichst leise und ohne Spuren zu hinterlassen. Es gilt, sich in die Natur einzufügen, sie also nicht zu stören. „Laute Geräusche und Rücksichtslosigkeit gehören nicht hierher“, erklärt Christian Schulze Döring. Der Förster steht auf einer Lichtung, umgeben von dichtem Wald. Der gebürtige Westfale ist seit 1997 bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen tätig und betreut den Bereich der Bezirksförsterei in Westerstede. 5.000 Hektar groß ist das Gebiet, das er quasi bis ins letzte Blatt kennt.

Schulze Döring wendet den Blick nach oben in die Baumkronen und spricht von ihrem Rauschen; darüber wie die Pflanzen in einem Gefüge leben und welche Signale der Waldboden sendet – etwa, dass er bereit ist für die Naturverjüngung. Damit ist das Heranwachsen der nächsten Generation an Bäumen gemeint. Für den 53-Jährigen ist ein Dasein ohne diesen „hohen Grünanteil“ nicht mehr vorstellbar: „Ich könnte mich an nichts anderes mehr gewöhnen. Wenn ich aufstehe, muss ich das Vogelzwitschern, das Windrauschen hören. Das gehört zu meinem Leben dazu.“ Die Liebe zur Natur entwickelte sich früh. Schulze Döring war zwölf Jahre alt, als er anfing, im Wald seines Großvaters mit anzupacken.

©Marcus Windus

Ein genaues Gespür für das Ökosystem Wald

So lernte er auch, die komplexen Zusammenhänge aus Nachhaltigkeit und Wirtschaft zu verstehen und seinen eigenen Platz darin zu finden. Über die Jahrzehnte hat er sich ein immenses Fachwissen und genaues Gespür für das Ökosystem Wald angeeignet, das er als Ansprechpartner für die Privatwald-Besitzer:innen im Ammerland weitergibt. Der Förster beantwortet Fragen dazu, welches Holz geschlagen werden kann, wo neue Bäume gepflanzt werden und welche Schädlinge eine Gefahr für den Wald darstellen. Und er weiß auch, dass der Begriff Nachhaltigkeit ursprünglich aus der Forstwirtschaft kommt.

Denn hier gilt es, stets ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Ökologie und Ökonomie zu wahren. Einerseits gehören zu den Aufgaben einer Bezirksförsterei die Ernte und Zulieferung von Holz. Sie muss – als Teil einer Branche – eben auch ertragreich sein. Nebenbei bemerkt: Die Branche der Forst- und Holzwirtschaft beschäftigt mit allen vor- und nachgelagerten Betriebszweigen mehr Menschen als die Automobilindustrie.* „Andererseits stand immer schon fest: Es sollte nur so viel Holz genutzt werden, wie nachwachsen kann“, betont Schulze Döring. „Wir brauchen es zwar als vielseitigen Rohstoff, aber auch eine Natur, die im Gleichgewicht ist!“

* Quelle: „Clusterstatistik Forst und Holz“ https://www.thuenen.de/media/publikationen/thuenen-workingpaper/ThuenenWorkingPaper_48.pdf

„Andererseits stand immer schon fest: Es sollte nur so viel Holz genutzt werden, wie nachwachsen kann.“

Christian Schulze-Döring, Bezirksförster in Westerstede

 

©Marcus Windus

Mit Blätterrauschen runterfahren

Apropos Gleichgewicht: Der Förster beobachtet, dass die Sehnsucht des Menschen nach dem „Naturerlebnis Wald“ größer geworden ist. „Die Pandemie hat sehr viel Bewusstsein geweckt für seine wohltuende Wirkung“, so Schulze Döring. Wenn man sich tief in den Wald begebe, weit ab vom menschengemachten Lärm, könne man sich einfach einmal nur dem Blätterrauschen hingeben. „Das ist schon was Tolles – da kann man gut runterfahren.“

Allerdings herrsche durch das gestiegene Bedürfnis nach Natur auch ein zunehmender Druck durch die Besucherinnen und Besucher, den der Wald aushalten müsse. „Viele Haushalte haben sich Hunde angeschafft – einige halten sich beim Spaziergang abseits der Wanderwege im Wald auf.“ Schulze Döring wünscht sich mehr Rücksichtnahme, damit der Wald nicht nur Rückzugsort für Mensch und Hund, sondern auch ein geschützter Lebensraum bleiben kann.

©Marcus Windus

Zu weit weg von der Natur

Zudem stellt er fest: „Viele Menschen sind zu weit weg von der Natur und wissen gar nicht mehr um die Zusammenhänge, die dort herrschen.“ Das Verständnis für den Wald fange in der Grundschule an, eigentlich schon im Kindergarten. „Dort wünsche ich mir noch mehr Aufklärung.“ Denn klar sei:

 

„Die Natur kommt ohne uns aus,
wir aber definitiv nicht ohne sie.“

Christian Schulze Döring, Bezirksförster in Westerstede

 

Deshalb helfen Försterinnen und Förster wie er dem Wald dabei, die Bedrohungen – auch durch den Klimawandel – wie Sturmschäden, Schädlinge und Krankheiten abzuwehren. Die Natur gebe klar an, was zu tun sei. Schulze Döring ist nicht nur ein geduldiger Lehrmeister beim Vermitteln seiner Expertise, sondern auch ein Optimist: „Ich glaube, wir schaffen das auch.“

Mit Verstand den Wald betreten

So betrachtet: Sollte eventuell jede:r Försterin oder Förster werden? „Es müssen nicht alle diesen Beruf ergreifen“, wiegelt Schulze Döring augenzwinkernd ab. „Es reicht schon, mit Verstand und Rücksichtnahme den Wald zu betreten.“ Also mit dem Bewusstsein, dass alle ihn brauchen, nicht ein:e Einzelne:r.

Gerade bestimmt der Förster, wie groß der Umfang des Baumes vor ihm ist. Dazu benutzt er einfachste Mittel: Fingerbreiten, Schrittweiten und einen armlangen Stock, aber auch viel Erfahrung. Schulze Döring verschätzt sich beim Messen minimal und kommentiert: „Das Maß im Wald sind nicht Zentimeter, sondern das große Ganze.“

©von Mende Marketing

Erfahrungsschatz Wald

Den ganzen Vormittag draußen sein, bei jedem Wetter? Für „Die Trolle“ des Waldkindergarten Schortens gibt es nichts Besseres. Spielerisch entdecken sie den Wald und dabei auch sich selbst.

Wie sich ein Tag im Waldkindergarten gestaltet, lesen Sie → hier.

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