Experteninterview mit Psychiater Dr. Christian Figge

Wie Baby-Boom und Burn-out zusammenhängen

17. Januar 2025

ein abgebranntes Streichholz symbolisiert das Abgebranntsein beim Burn-out

©Pexels, Nataliya Vaitkevich

Dr. Christian Figge ist Psychiater und Direktor der Klinik für Allgemeine Psychiatrie und Psychotherapie in Bad Zwischenahn, die zur Karl-Jaspers-Klinik, Psychiatrieverbund Oldenburger Land, gehört. Im Interview teilt er seine Erkenntnisse darüber, was der Unterschied zwischen einem Burn-out und dem Gefühl der Überforderung ist und welchen Einfluss die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Generation dabei hat. Er erklärt auch, was das Arbeitsumfeld tun kann und was ihn optimistisch stimmt.


Herr Dr. Figge, die Gründe für einen Burn-out können vielfältig sein bzw. ein Zusammenspiel aus mehreren Faktoren. Inwiefern spielt aus Ihrer Sicht auch der „Zeitgeist“ eine Rolle?

Dr. Christian Figge: Das klassische Burn-out-Syndrom beschreibt einen Prozess. Dazu zählt insbesondere auch eine Phase des verstärkten Engagements für eine Idee, eine Aufgabe, eine Mission. Dieser Phase folgen die Überforderung, das Hinterfragen des Engagements und schließlich der Zusammenbruch. Derzeit wird der Begriff oft fälschlicherweise von Menschen genutzt, die sich allgemein überfordert fühlen, ohne jemals vorher eine Phase des „Brennens“ erlebt zu haben. Während zunehmend dieses Gefühl der Überforderung beklagt wird, findet sich das eigentliche Burn-out-Syndrom derzeit auf dem Rückzug. Dies ist möglicherweise auch auf veränderte generationstypische Arbeitsbilder zurückzuführen.

 

Was genau meinen Sie damit?

Die „klassischen“ Burn-out-Patientinnen und -Patienten stammen aus der Baby-Boomer-Generation. Als Nachkommen der „Wirtschaftswunder-Eltern“ trafen sie in großer Summe auf begrenzte Jobmöglichkeiten und hinterfragten Lebenssinn und -aufgabe. Wurde dann eine tragfähige Idee gefunden, folgte – vor allem in sozialen Bereichen – ein lebendiges, teils aufopferungsvolles Engagement. Sinn und Erfüllung generierten sich aus der Arbeit, dem Erfolg und der Dankbarkeit der Leistungsempfängerinnen und -empfänger.

 

„Die „klassischen“ Burn-out-Patientinnen und -Patienten stammen aus der Baby-Boomer-Generation.“

 

Inzwischen sind Angehörige der sogenannten Generation Y, die im Zeitraum der frühen 1980er bis zu den späten 1990er Jahren geboren wurden (Anm. d. Red.), in der Berufswelt angekommen und besetzen Führungspositionen. Sie hinterfragen laufende Prozesse und damit auch das „Überengagement“ der Vorgängergeneration, das in der Folge an Sinn und Wertschätzung verliert.

Wie kann das Arbeitsumfeld dazu beitragen, einen Burn-out abzuwenden? 

Dabei kommt der Unternehmensführung eine entscheidende Rolle zu: Führung heißt hier in ganz besonderem Maße, ein gutes Gespür für die Mitarbeitenden zu entwickeln. Es gilt zu identifizieren: Wer arbeitet mehr, als für ihn gesund ist? Welche Motivation verbirgt sich dahinter? Hat die oder der Mitarbeitende selbst schon einmal wahrgenommen, dass sie oder er das Pensum eventuell auf Dauer nicht erfüllen kann? Gemeinsam sollten dann Möglichkeiten ausgelotet werden, das Pensum zu reduzieren, ohne dass dabei die Wertschätzung verloren geht.

Kann beim Überwinden eines Burn-outs auch helfen, ihn als „Wendepunkt“, als Chance im Leben zu begreifen?

In jedem Fall bietet diese Herangehensweise einen Ansatz für die oder den Betroffenen, grundsätzlich seine Werteeinstellung und insbesondere die Bedeutung des Berufs in ihrem oder seinem Leben zu hinterfragen. Daraus kann sich ergeben, dass auch eine Änderung anderer grundlegender Bereiche im Leben ansteht, eventuell mit psychotherapeutischer Begleitung.

©Pexels, Nataliya Vaitkevich

Wie präsent wird das Krankheitsbild aus Ihrer Expertensicht in Zukunft sein?

Wir sehen in unserem klinischen Umfeld einen deutlichen Rückgang der klassischen Burn-out-Fälle. Das ist sicher auch auf einen Generationswechsel der Beschäftigten zurückzuführen: Weder die Generation Y noch die folgende Generation Z sind in besonderem Maße Burnout-gefährdet.

 

©Karl-Jaspers-Klinik

Dr. Christian Figge

hat Humanmedizin in Düsseldorf und Essen studiert und anschließend Facharztausbildungen in den Bereichen Neurologie sowie Psychiatrie und Psychotherapie abgeschlossen. Derzeit ist er Klinikdirektor der Klinik für Allgemeinpsychiatrie und Psychotherapie sowie Leiter der Ambulanz für neuronale Entwicklungsstörungen und Autismusspektrumstörungen der Karl-Jaspers-Klinik.

Zurück zur
Übersicht