Frau Oesterling, wenn man die Neubaugebiete des Oldenburger Landes anschaut, dann scheint die gestalterische Vielfalt zuzunehmen. Man sieht unzählige Varianten des Einfamilienhauses, von Kubus bis Krüppelwalmdach, von Fertighaus bis Finca. Gibt es bei den Wohnimmobilien aktuelle Trends, was die Bauformen angeht?
Im Hinblick auf unsere immer älter werdende Gesellschaft müssen wir uns fragen, wie wir in Zukunft leben und wohnen wollen. Der aktuelle Trend zu immer größeren Häusern auf immer kleineren Grundstücken schafft nicht unbedingt mehr Wohnqualität. Wir müssen nachhaltiger und ökologisch verträglicher bauen und bezahlbaren Wohnraum bei einem gleichzeitig hohen Wohnwert schaffen. Wir sollten modern und gleichzeitig regionaltypisch bauen, so dass es Wiedererkennungswert und bessere Akzeptanz im Umfeld gibt, als dies bei den heute austauschbaren Neubaugebieten der Fall ist.
Was sind für Sie vor diesem Hintergrund die Aufgaben der Zukunft?
Dazu gehören für mich vorrangig neben dem Neubau insbesondere auch der Umbau von Gebäudebeständen, im Zweifelsfall aber auch der Abbruch und Ersatz innerhalb bestehender Strukturen. Mit der Ausweisung neuer Flächen für Siedlungszwecke ist dabei deutlich sparsamer und im besten Fall auch gemeinwohlorientierter umzugehen.
Helfen dabei möglicherweise neue Formen des Wohnens? Modelle wie Co-Living und Tiny Houses sind ressourcenschonender als Einfamilienhäuser. Aber werden sie sich auch durchsetzen?
Unsere Gesellschaft ist vielfältig und durch unterschiedliche Lebensformen geprägt, was auch unterschiedliche Wohnformen erfordert. Entsprechend wird es von der Familienwohnung bis zum Loft weiterhin alles geben. Ich gehe aber davon aus, dass einmal im Leben zu bauen und im Eigenheim (einsam) alt zu werden, für viele nicht mehr erstrebenswert ist. Wir benötigen daher zukünftig mehr gemeinschaftlich und zugleich flexibel nutzbare Flächen, um soziale Kontakte zu ermöglichen und zu fördern. Architektinnen und Architekten stehen für diese Bauaufgaben bereit.
„Unsere Gesellschaft ist vielfältig –
das erfordert auch unterschiedliche Wohnformen.“
Kerstin Oesterling (Architektenkammer Niedersachsen)
Der Gestaltung von Außenflächen mehr Aufmerksamkeit zu schenken, scheint ein kluger Gedanke zu sein. Aber was ist mit dem Inneren? Gibt es dort ähnliche Entwicklungen?
Corona hat deutlich gemacht, dass es Rückzugsräume und Individualbereiche für alle Haushaltsmitglieder geben muss. Das wird mitunter den klassischen Wohngrundriss verändern. Ob hingegen offene Wohnkonzepte oder eher abgeschlossene Räume realisiert werden, hängt von den persönlichen Präferenzen ab. Was der eine als kommunikativ empfindet, kann für den anderen störend sein.
Das Home-Office hat sich aber etabliert und wird uns sicherlich weiterhin erhalten bleiben. Aus den technischen Möglichkeiten des arbeitsplatzunabhängigen Arbeitens ergibt sich ein erhebliches Entwicklungspotenzial für die ländlichen Räume, ebenso wie durch die Nachnutzung dörflicher Bausubstanz. Hier gibt es allerdings im Hinblick auf das Baurecht und den Immissionsschutz noch Hemmnisse, denen es entgegenzuwirken gilt.
„Die Flächenkonkurrenz ist schwierig –
jeder Quadratmeter in der Stadt ist umkämpft.“
Kerstin Oesterling (Architektenkammer Niedersachsen)
Welche Schwerpunkte sehen Sie darüber hinaus? Welche Themen oder Trends beim Wohnen werden die Gestaltung der Gebäude in Zukunft prägen?
Die Diskussion um die einzelne Gebäudeform ist eher kein Schwerpunkt. Ein klassischer Siedlungsbau aus einer Hand ist für mich deutlich erstrebenswerter als das Einfamilienhaus. Unser Ziel muss es sein, höhere Qualitäten im Wohnungsbau zu erreichen und wieder mehr über die Nutzung und Gestaltung von halböffentlichen und öffentlichen Räumen nachzudenken. In den Großstädten sind zum Beispiel Konzeptvergaben schon ein gängiges und gutes Instrument der Stadtplanung geworden. Vielfalt und soziale Nutzungsmischungen können so besser gesteuert werden. Auch genossenschaftliches Wohnen ist hier deutlich weiter verbreitet als in den ländlich geprägten Regionen Niedersachsens. Dort gibt es Nachholbedarf beim bedarfsgerechten Planen, um wieder einheitliche Ortsteile statt einer Aneinanderreihung von meist nicht zusammenpassenden Einzelgebäuden zu erzielen. Wichtig ist es grundsätzlich, den Flächenverbrauch zu reduzieren.
Vielen Dank für das Gespräch!