Interview mit Schlafmediziner Dr. Klaus-Dieter Wolgast

Lebensnotwendige Ruhephase: Wie wir (besser) schlafen

13. Juni 2024

1786 Schlafmediziner Klaus-Dieter Wolgast

©Timo Lutz

Erstaunlich: Der Mensch verbringt ein Drittel seiner Lebenszeit schlafend, während er nur etwa ein Zehntel davon arbeitet. Im Alltag machen sich viele Menschen trotzdem nur wenig Gedanken darüber, wie die ideale Nachtruhe aussieht. Für den Experten Dr. Klaus-Dieter Wolgast vom Schlafmedizinischen Zentrum des St. Franziskus Hospitals in Lohne gilt das nicht.


Herr Dr. Wolgast, im Schlaf ist der Mensch wehrlos und unproduktiv. Wieso konnte sich die Nachtruhe evolutionsbiologisch trotzdem durchsetzen?

Der Schlaf ist ein Zustand der äußeren Ruhe bei Tieren und Menschen. Diese Ruhephasen sind lebensnotwendig, da in ihnen regenerative Prozesse im Körper und im Gehirn stattfinden. Die Vorfahren des Menschen waren keine Einzelgängerinnen und -gänger, im Schutz der Gruppe entwickelte sich eine zunehmende Sicherheit gegen äußere Feinde und Einflüsse. Dies begünstigte die Entstehung von längeren nächtlichen Ruhephasen.

Was genau passiert eigentlich im Schlaf? Was machen Kopf und Körper in dieser Phase?

Wir unterscheiden zwei Arten von Schlaf. Im „Non-REM-Schlaf“ sieht man mit zunehmender Schlaftiefe eine Abnahme der Muskel- und Hirnaktivität. Dagegen weist der „REM-Schlaf“ eine sehr hohe Hirnaktivität auf, während alle motorischen Muskeln nahezu vollständig inaktiv sind. Derzeit geht man davon aus, dass im Non-REM-Schlaf eine körperliche Regeneration erfolgt, während im REM-Schlaf Lernprozesse stattfinden, Erfahrungen und Erinnerungen abgespeichert oder verworfen werden.

Man unterscheidet Tiefschlafphasen vom leichten Schlaf. Ist das eine bessere als das andere?

Im Non-REM-Schlaf unterscheiden wir derzeit 3 Schlaftiefen, den Leicht-, den stabilen und den Tiefschlaf. Körperliche Erholung findet lediglich im Tiefschlaf, also in Stadium 3 statt. Leichtschlaf und stabiler Schlaf dienen jeweils als Übergangsphasen, um Erholungsprozesse ein bzw. auszuleiten. Für einen gesunden Schlaf ist der harmonische Ablauf des Schlaftiefenwechsels wichtig. Im Anschluss an eine Non-REM-Phase tritt eine REM-Phase auf.

 

„Für einen gesunden Schlaf ist der harmonische Ablauf des Schlaftiefenwechsels wichtig.“

 

Der zeitliche Ablauf NonREM-REM-Schlaf wird als Schlafzyklus bezeichnet. Ein Schlaf-Zyklus dauert durchschnittlich zwischen 90 und 110 Minuten. In einer durchschnittlichen Nacht werden zwischen 4 und 6 Schlafzyklen durchlaufen. Dabei nimmt die Non-REM-Schlaftiefe zum Morgen hin ab, die REM-Phasen werden länger.

©Adobe Stock / Pixel Shot

Haben äußere Faktoren wie Tageszeit oder Dunkelheit eine Auswirkung auf die Qualität des Schlafs?

Wie viele Körperfunktionen unterliegt auch unser Schlaf einer sogenannten zirkadianen Rhythmik. Diese „innere Uhr“ wird durch Strukturen im Hypothalamus koordiniert. Als wesentliche Taktgeber gelten dabei das Tageslicht, also Helligkeit, und soziale Faktoren wie Arbeit und Schule. Entwicklungsgeschichtlich war der Wechsel des Tages-Nacht-Rhythmus an das Tageslicht gekoppelt. Mit abnehmender Tageshelligkeit wurden schlafanstoßende Mechanismen, zum Beispiel der Ausstoß von Melatonin, aktiviert, Stresshormonspiegel und Weckimpulse dagegen reduziert. Auf diese Weise war die „innere Uhr“ mit der regionalen Zeitzone synchronisiert.

Durch einen Wechsel der Zeitzone oder Helligkeit während der eigentlichen Schlafperiode kommt es zu Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus. Die regenerativen Effekte des Schlafes sowohl für den Körper als auch für den Geist können bei häufigen oder lang andauernden Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus beeinträchtigt sein und zeigen sich etwa in Form von Müdigkeit, Unkonzentriertheit und Gedächtnisstörungen.

Die 7 besten Tipps für guten Schlaf
von Experte Dr. Klaus-Dieter Wolgast

  1. Regelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus: Versuchen Sie, jeden Tag zur gleichen Zeit ins Bett zu gehen und aufzustehen, um Ihren Körper auf einen festen Rhythmus einzustellen.
  2. Entspannung vor dem Schlafengehen: Vermeiden Sie intensive körperliche oder aufregende Aktivitäten kurz vor dem Schlafengehen. Stattdessen können Sie lesen, sanfte Musik hören oder Entspannungstechniken wie Meditation ausprobieren.
  3. Angenehme Schlafumgebung: Dunkeln Sie den Raum ab, reduzieren Sie Lärm und sorgen Sie für eine bequeme Matratze und passende Kissen.
  4. Vermeiden von Koffein und Alkohol vor dem Schlafengehen: Denn diese Substanzen können den Schlaf stören.
  5. Begrenzen der Bildschirmzeit: Blaulicht von Bildschirmen wie bei Computer, Telefon und Fernseher kann den Schlaf beeinträchtigen. Nutzen Sie Blaulichtfilter und versuchen Sie, mindestens eine Stunde vor dem Schlafengehen keine Bildschirme mehr zu verwenden.
  6. Geeignete Ernährungsweise: Schwere Mahlzeiten vor dem Schlafengehen können unangenehm sein. Leichte Snacks wie eine Banane oder ein Glas warme Milch können jedoch helfen.
  7. Bewegung und frische Luft: Regelmäßige Bewegung und frische Luft können zu besserem Schlaf beitragen.

Wenn man zu wenig oder sehr schlecht schläft: Welche Folgen hat das?

Das Schlafbedürfnis ist individuell unterschiedlich. Napoleon sagt man nach, dass er nach einer durchschnittlichen Schlafdauer von 3 bis 4 Stunden körperlich und geistig voll leistungsfähig gewesen sei. Dagegen sollen sich Einstein und Goethe erst nach einer Schlafdauer von mehr als 10 Stunden erholt gefühlt haben.

 

„Napoleon war wohl nach nur 3 bis 4 Stunden Schlaf voll leistungsfähig.“

 

Grundsätzlich hängen die Auswirkungen bei einer Reduzierung der Schlafdauer bzw. bei Schlafstörungen von der jeweiligen Dauer ab. Sollten die Störungen nur kurzzeitig bestehen, ist abgesehen von einer Tagessymptomatik wie Müdigkeit kein relevantes Gesundheitsrisiko zu erwarten. Bei längerfristigem Auftreten sind jedoch Einschränkungen sowohl der physischen als auch psychischen Leistungsfähigkeit zu erwarten. Die Betroffenen weisen sehr häufig eine Monotonie-Intoleranz auf: Das bedeutet, sie nicken in monotonen Situationen ungewollt ein, etwa am Lenkrad. Zudem beklagen sie häufig Konzentrationsprobleme und Reizbarkeit.

Auch die körperliche Leistungsfähigkeit ist bei vielen Betroffenen vermindert. Bei häufigen Störungen des Nachtschlafs entsteht zudem ein erhöhtes Herz-Kreislauf- und Schlaganfall-Risiko. Bei jedem Störimpuls im Schlaf ist in der Regel ein Anstieg des Blutdrucks, der Herzfrequenz und des Muskel-Tonus zu verzeichnen. Gleichzeitig ist ein Ausstoß von Stresshormonen nachweisbar. Dies führt zu einer übermäßigen Belastung von Herz und Kreislauf zu einer Zeit, wo sich dieses System eigentlich erholen soll.

Sie behandeln Schlafstörungen. In welchen Formen können sie auftreten?

Die Internationale Klassifikation der schlafbezogenen Erkrankungen weist aktuell 6 Hauptgruppen auf: die Schlaflosigkeit, Insomnie genannt, ist eine der häufigsten Schlafstörungen. Sie trifft Menschen unterschiedlichen Alters und Geschlechts. Etwa 30 Prozent der Bevölkerung leiden gelegentlich an Schlaflosigkeit. Es gibt daneben schlafbezogene Atmungsstörungen wie die Schlafapnoe und das Schnarchen, zirkadiane Rhythmus– und schlafbezogene Bewegungsstörungen wie das Restless-Legs-Syndrom. Unter Parasomnie versteht man ungewöhnliche Verhaltensweisen während des Schlafs wie Schlafwandeln und Albträume. Selten kommt auch die Schlafsucht, also die Hypersomnie vor.

©Adobe Stock / StockPhotoPro

Wie entstehen diese Störungen?

Bei den vielfältigen Formen der Schlafstörungen erfolgen Diagnostik und Therapie interdisziplinär. Da die Nachfrage zunimmt und sich die Krankheitsbilder ausdifferenzieren, haben sich viele schlafmedizinische Zentren auf engere Bereiche spezialisiert. Im schlafmedizinischen Zentrum in Lohne liegt der Schwerpunkt bei Patientinnen und Patienten mit schlafbezogenen Atemstörungen. Sie sind in der Mehrzahl Folge einer Verengung der oberen Atemwege.

 

„Viele schlafmedizinische Zentren haben sich auf engere Bereiche spezialisiert, weil Nachfrage und Krankheitsbilder zunehmen.“

 

Begünstigt wird das Entstehen von Schnarchen und Atemstörungen durch anatomische Auffälligkeiten. Bei sonst unauffälligen Atemwegen im Nasenrachenraum ist eine übermäßige Abnahme des Muskeltonus im Schlaf bei Gaumensegel, Zunge und Rachenhinterwand zu verzeichnen. Verlegen sich die Atemwege dadurch teilweise, kann es zu Schnarchen kommen, bei erhöhtem Atemwegswiderstand zu einer flacheren Atmung und bei komplettem Verschluss auch zu Atempausen.

Auch Faktoren wie Übergewicht können eine Rolle bei nächtlichen Atemstörungen spielen ebenso wie Bewegungsstörungen bei Schlafstörungen. In diesen Fällen erfolgt die Diagnostik ebenfalls interdisziplinär, also in enger Abklärung mit anderen Fachärztinnen und -ärzten.

Sind Menschen, die nachts arbeiten, häufiger betroffen?

Unsere innere Uhr ist an den Tages-Nacht-Rhythmus der Region gekoppelt, in der wir leben. Durch Schichtarbeit kommt es zu einer deutlichen Abweichung. Insbesondere bei Nachtschicht soll Arbeit zu einer Zeit geleistet werden, in der die innere Uhr Regeneration vorsieht. Und wiederum geschlafen werden, wenn die innere Uhr auf Aktivität steht. Die Qualität des Schlafes am Tag beschreiben Nachtarbeitende zusätzlich als deutlich schlechter: Helligkeit, Geräusche und familiäre Verpflichtungen stören den Schlaf. Das führt nicht selten zu einer nachhaltigen Schlafstörung. Um die Belastung für den Organismus möglichst gering zu halten, sollte der Schicht-Rhythmus möglichst kurz sein. Dazu sollten die Schichten im Uhrzeigersinn wechseln – von Früh- über Spät- zu Nachtschicht.

Nun hat jeder mal schlechte Nächte. Wann sollte man zum Arzt gehen?

So lange „schlechte Nächte“ eine Ausnahme darstellen, besteht in der Regel kein Handlungsbedarf. Bei andauernden Schlafstörungen sollten die Betroffenen zunächst versuchen, negative Faktoren selbst zu erkennen. Hilft dies nicht, sollte bei einer hausärztlichen Untersuchung geklärt werden, ob gesundheitliche Faktoren den Schlaf negativ beeinflussen. Falls sie ebenfalls nicht als Auslöser der Schlafstörung in Betracht kommen, wäre eine Vorstellung in einer schlafmedizinischen Praxis sinnvoll.

©Timo Lutz

Wie muss man sich Untersuchung und Behandlung vorstellen?

Die Diagnostik von Patientinnen und Patienten mit einer entsprechenden Tagessymptomatik erfolgt nach einem Stufenschema. Führt eine hausärztliche Untersuchung nicht zur Klärung, wird die oder der Betroffene an eine Praxis überwiesen, die eine sogenannte Polygrafie durchführen kann – eine Nachtmessung, in der zum Schlafen ein Messgerät angelegt wird, das minimal Sauerstoffsättigung, Herzfrequenz und Atemaktionen registriert. Bei auffälligen bzw. unklaren Polygrafie-Befunden wird die oder der Betroffene aus dieser Fachpraxis in das hiesige Schlafmedizinische Zentrum überwiesen.

Im Schlaflabor wird dann eine Polysomnografie durchgeführt. Dazu werden der Patientin oder dem Patienten Sensoren an verschiedenen Bereichen des Körpers angelegt, um Körperfunktionen im Nachtverlauf beurteilen zu können. Je nach Ergebnis wird das weitere Vorgehen in einem ausführlichen Patientengespräch abgestimmt. Sollte eine Therapie erforderlich sein, werden dabei entsprechende Therapiemöglichkeiten aufgezeigt. Zum einen besteht die Möglichkeit der Überdruckbeatmungstherapie – sie würde in zwei weiteren Nächten unter polysomnografischer Kontrolle eingeleitet. Danach würde die oder der Betroffene in die Anwendung dieser Therapie im häuslichen Bereich eingewiesen. Zum anderen kann ihr oder ihm eine weitere Versorgung durch Ärztinnen und Ärzte im Bereich HNO, Zahnmedizin bzw. Kieferorthopädie angeraten werden.

Wie sind die Aussichten auf Erfolg? Kann letztlich jeder gut schlafen?

Die Fähigkeit, gut zu schlafen, ist individuell sehr unterschiedlich. Das hängt von sehr vielen Faktoren ab. Schlaf störende Faktoren sind häufig nicht beeinflussbar. Nicht jede den Schlaf störende Erkrankung kann effektiv behandelt werden. Jeder kann aber versuchen, seine Schlafqualität positiv zu beeinflussen, indem er sogenannte Schlafhygienische Maßnahmen umsetzt.

 

Vielen Dank für das Gespräch!

Zurück zur
Übersicht