Plötzlich hilflos
Im Krankenhaus konkretisiert es sich: Noch in Reitmontur liegt René Baumann auf dem Behandlungstisch und reagiert mit einem leicht entnervten „Mach ich doch!“, als sein Vater ihn erneut bittet, die Beine zu bewegen. „Den Blick habe ich bis heute nicht vergessen“, erzählt er, „mein Vater dachte, ich würde nie wieder laufen können.“ Noch drastischer formuliert es ein Arzt auf der Intensivstation: Er könne froh sein, dass er noch lebe. Zahlreiche Operationen folgen und Wochen, in denen er sogar für kleinste körperliche Tätigkeiten auf Hilfe angewiesen ist. Nicht einfach für einen 15-Jährigen. Erst recht nicht für einen, der auf hohem Niveau Fußball spielt und eine Profi-Karriere als Reiter anstrebt.
Heute spricht René Baumann vom Tag des Unfalls als seinem zweiten Geburtstag. Der 4. November war das – die Zahlenkombination findet sich heute auf seinem Autokennzeichen. 17 Jahre später sitzt er in den Büroräumen seines Unternehmens in Friesoythe und ist sichtbar zufrieden. Er wirkt ausgeglichen, bei sich angekommen. Schritt für Schritt hat er sich sein Leben zurückerobert. Mehr noch: Er hat es um eine wesentliche Facette bereichert, privat wie beruflich – das Wissen um die Bedeutung und den Einsatz mentaler Stärke.
Ein zweiter Wendepunkt. Oder auch: der wesentliche.
Die Erkenntnis geht auf den Prozess seiner Genesung zurück. Körperlich erholt sich René Baumann gut. Schon ein knappes Jahr nach dem Reitunfall kann er wieder in den Sattel steigen und trainiert für die Teilnahme an Wettkämpfen. Doch etwas Wesentliches hat sich verändert. „Als es darum ging, Turniere zu reiten, habe ich gemerkt: Ich kann das nicht mehr so wie früher“, beschreibt es René Baumann. In einem Wettkampf wird die Veränderung besonders deutlich: Er muss einen Oxer, ein Hindernis für einen Hochweitsprung, überwinden – und bricht ab.
Zunächst versucht René Baumann, äußere Faktoren zu beeinflussen. Er lässt sein Pferd vom Osteopathen behandeln und den Sattler kommen. Er trägt eine Sicherheitsweste, um das Gefühl der Befangenheit zu mindern; spricht viel mit seiner Familie, die ihn auch schon in der Genesungsphase im Krankenhaus eng begleitet hat. Aber das Problem bleibt: Als Wettkampfreiter kann er seine Leistung nicht abrufen. „Da wurde mir klar, wie stark der Kopf ist, wie sehr er lenkt“, erzählt er. Rückblickend ist dieser Moment der Erkenntnis ein zweiter Wendepunkt in seinem Leben. Oder vielleicht sogar der wesentliche.