Michaelis verlagerte ihren Lebensmittelpunkt nach London. Zusammen mit weiteren Models wohnte sie dort in einer WG, die aber meist nur als Zwischenstation diente. In den kommenden Jahren sollte die junge Frau zeitweise in Mailand, Madrid, New York und gleich mehrfach in Paris zuhause sein. Sie genoss dabei die angenehmen Seiten des Berufs: das rasante Leben in großen Modemetropolen, die Shootings an traumhaft schönen Orten, den Kontakt zu interessanten Menschen aus einer kreativen Branche, den Rundumservice mit arrangierten Flügen und Hotels, eine stattliche Bezahlung – all das übte einen großen Reiz aus.
Glitzerbranche mit Schattenseiten
Was tatsächlich klingt wie ein erfüllter Traum, hatte aber auch Schattenseiten. „Es ging schnell um meine Hüfte, 90 Zentimeter Umfang waren das Maximum“, schildert sie die Vorstellungen der Branche. „Ich musste sehr auf meine Ernährung achten.“ Was auch überprüft wurde: So konnten aus heiterem Himmel Anrufe kommen, die eine sofortige Maßkontrolle oder aktuelle Bikinifotos verlangten. Andere Telefonate beorderten sie auf direktem Weg zum nächsten Flughafen, um an einem anderen Ort einen Job zu übernehmen. „All das bedeutet natürlich Druck“, so Michaelis.
Zudem warfen einige Gepflogenheiten der Branche durchaus Fragen auf: „Einmal wurde ich für drei Tage nach Chile geschickt – für ein einziges Shooting“, blickt sie auch heute noch ungläubig zurück. Und das fand nicht einmal vor einer speziellen Kulisse statt, sondern in einem beliebigen Gebäude. Anders war es zwar im Westen Australiens, als die Fotos unweit von Perth an den einzigartigen „Pink Lakes“ geschossen wurden. „Da habe ich mich aber auch gefragt: Gibt es nicht australische Models, die mir ähnlich sehen?“
Die kritischen Stimmen in Michaelis Kopf wurden immer mehr lauter. Zumal die Abiturientin in diesem Job intellektuell unterfordert war. Als Model durfte man sich zwar zur Mode äußern, inhaltlicher Input war aber nicht gewünscht. „Als Ausgleich habe ich abends im Hotel Dokus geschaut“, erzählt sie. Der ungeschönte Blick auf die Welt rückte auch die Modebranche in ein neues Licht: „Man muss sich schon fragen, was man da macht“, findet Michaelis. Ihr fehlte zunehmend der Sinn in einem System, das Kleidungsstücke bewirbt, deren Produktion und Nutzen fragwürdig sind. Die allgegenwärtige Unfreiheit, stets auf Ernährung, Gewicht und Aussehen achten zu müssen, verstärkten die Störgefühle.