Menschen wenden sich beispielsweise an Karina Ganghof, wenn sie am Arbeitsplatz Schwierigkeiten mit der Führungskraft oder anderen Mitarbeiter:innen haben. Im Privatleben geht es um Probleme in der Partnerschaft oder Trennungen, Herausforderungen in der Kindererziehung oder Trauerfälle in der Familie. Also nahezu immer um das Verhältnis zu einem anderen Menschen, das problematisch, nicht mehr tragbar oder nicht mehr möglich ist.
Wie auch in der Harvard-Studie zu Glück zeigt sich hier der direkte Zusammenhang zwischen dem Befinden eines Menschen und der Qualität seiner Beziehungen. „In einer sozialen Beziehung haben das Denken, Fühlen und Handeln der beteiligten Personen auf die jeweils andere Person einen Einfluss. Je emotionaler ich mit jemandem verbunden oder je abhängiger ich von ihm bin, desto stärker ist dieser Einfluss“, erklärt Karina Ganghof und nennt gleich ein Beispiel: „Kritik von einer mir fremden Person trifft mich in der Regel nicht so hart wie von einer Person, die mir sehr viel bedeutet.“
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DER DEUTSCHEN GEBEN AN, ANDERE MENSCHEN ZU BRAUCHEN,
UM SICH GUT ZU FÜHLEN.*
Ein offenes Buch: Was unsere Gesichter lesen lassen
So erklärt sich auch, warum wir erröten: Was wir gemeinhin als unangenehm empfinden, weil wir uns geschmeichelt fühlen, verärgert oder beschämt sind, ist schlicht eine soziale Fähigkeit. „Wer errötet, lässt sein Gegenüber erkennen, dass er etwas darauf gibt, was andere von ihm denken“, schreibt Bestseller-Autor Rutger Bregman. Das schaffe Vertrauen. Und Vertrauen wiederum die Basis, sich aufeinander verlassen zu können.
Rutger Bregman ist ein niederländischer Historiker und hat sich in seinem Buch „Im Grunde gut“ mit einer bedeutenden Frage befasst: Wie haltbar ist die weitverbreitete Annahme, der Mensch sei grundsätzlich egoistisch? Seine Antwort: Ganz im Gegenteil seien wir nicht uns selbst, sondern einander zugewandt. In seinen Recherchen stieß Bregman immer wieder auf Geschichten, in denen die Personen auch in lebensbedrohlichen Situationen nicht auf sich, sondern auf ihre Mitmenschen achteten. Sie stellten ihre eigenen Bedürfnisse zurück und riskierten sogar ihr Leben, um anderen zu helfen. Wir sind offensichtlich dafür gemacht, uns dem Gegenüber hinzuwenden.
„Wir sind darauf ausgerichtet,
Verbindungen mit Menschen unserer Umgebung herzustellen.“
Rutger Bregman, niederländischer Historiker
Eben auch physiognomisch. Neben der Fähigkeit zu erröten fiel Bregman noch etwas auf: Alle Primaten haben dunkle Augen ohne weiße Anteile, um nicht erkennen zu lassen, wohin sie blicken. Alle, außer wir Menschen. Durch das Weiß unserer Augen können wir der Blickrichtung unseres Gegenübers folgen. Gerade diese kleinen Bewegungen sagen viel darüber aus, ob wir uns wohl oder unwohl fühlen, gehetzt oder gelassen sind. Von den Augen des anderen können wir so Gefühle ablesen, quasi in sein Inneres blicken. Auch diese körperlichen Besonderheiten weisen darauf hin: „Wir sind darauf ausgerichtet, Verbindungen mit Menschen unserer Umgebung herzustellen“, wie es Rutger Bregman formuliert. „Und das ist kein Handicap, sondern unser größtes Kapital.“